Wofür du stirbst
ihren eigenen vier Wänden verwandeln, spüre ich, dass ich langsam mein Interesse verliere. Ich habe jetzt so viele beobachtet und festgestellt, dass trotz gewisser Unterschiede nur sehr wenig wirklich Erstaunliches passiert. Also muss ich ein paar Variablen hinzufügen, etwas Neues, das das alte Feuer neu entfacht.
Mit anderen Worten: die reizende Audrey.
Vor einer halben Stunde bin ich ins Zentrum gegangen, als noch viel los war und ich mich unter die Menge der Menschen mischen konnte, die gerade auf dem Heimweg waren. Direkt gegenüber vom Luciano’s ist ein Fast-Food-Laden mit ein paar Tischen im ersten Stock. Ich kaufte mir einen Kaffee an der Kasse und nahm ihn mit nach oben. Vermutlich hätte ich auch etwas zu essen bestellen sollen, aber ich will mir nicht den Magen verderben und auch noch Geld dafür ausgeben. Also nahm ich nur einen Kaffee, und selbst der war ungenießbar.
Immerhin habe ich vom Fenster aus eine perfekte Sicht auf das italienische Restaurant und die Clubs drum herum. Ich sehe sogar den Taxistandplatz, wenn ich aufstehe und mich ein wenig vorbeuge.
Um fünf nach sieben taucht Audrey mit einer Freundin auf. Sie trägt ein kurzes Kleid aus dunklem, seidigem Stoff, das eng an ihren Oberschenkeln anliegt, dazu gefährlich hohe Stöckelschuhe, mit denen sie unsicher über das Kopfsteinpflaster läuft. Aber ihre Schenkel … Ich kann kaum meinen Blick von ihnen abwenden. Seit Mittwochnacht beschäftige ich mich mit ihnen und habe sie mir auf verschiedenen Fotos auf ihrem Facebook-Profil angesehen. Doch jetzt, wo ich sie in Bewegung sehe, wie sie aneinanderreiben, wie sich die Muskeln unter der Haut bewegen – wie sich ihr Hintern unter dem engen Satinrock abzeichnet –, kann ich der Versuchung kaum widerstehen, runterzurennen, sie zu packen, sie zu mir umzudrehen und wortlos (denn was gibt es schon zu sagen) mit meinen Händen ihre Oberschenkel hinaufzufahren und den Stoff beiseitezuschieben …
Sie gehen ins Luciano’s und schließen die Tür.
Ich nippe an meinem lauwarmen Kaffee, der nach Spülwasser schmeckt, und warte.
Annabel
Ungefähr eine halbe Stunde nachdem der DCI gegangen war, tauchte Keith Topping auf. Er wirkte durchaus freundlich, als er eintrat – allerdings hatte ich den Eindruck, dass er trotz seines Bereitschaftsdienstes einen Antrag zur Freigabe von Telefondaten nicht als triftigen Grund ansah, an einem Freitagabend noch einmal ins Büro zu kommen, egal wie dringend es war. Am Ende zeigte er mir, wie ich es selbst machen konnte – obwohl das so gut wie nie vorkam, würde das letztlich vielen Leuten Zeit sparen, wie er sagte.
»Braucht man da keine Genehmigung? Ich dachte, man müsste da irgendein Passwort oder so eingeben«, sagte ich.
»Normalerweise schon. Aber nicht bei so einer Sache. Solange man den Codenamen der Operation eingibt – hier«, sagte er, beugte sich über mich, wobei mir der Duft seiner Achselhöhle in die Nase stieg. »Sie geben einfach die Dienstnummer des zuständigen DCI ein, okay? Glauben Sie, Sie schaffen das?«
Ich reagierte eher zurückhaltend, denn ich hatte nicht vor, seinen Job für ihn zu erledigen. Ich hatte selbst genug Arbeit.
»Ähem …«, sagte er, während ich ihm eine Liste mit Anfragen zusammenstellte, die er bearbeiten sollte … »Wie geht es Ihnen?«
»Gut«, sagte ich.
»Wir haben uns alle Sorgen um Sie gemacht«, antwortete er.
Ich sah erstaunt auf. »Sie kennen mich doch gar nicht«, sagte ich unverblümt.
Er schaute ein wenig verlegen drein. »Na ja, Sie gehören doch zum Team. Wir passen aufeinander auf.«
Ach ja?, dachte ich.
»Wir haben die Videos der Überwachungskameras bekommen. Das hat uns allen ganz schön auf den Magen geschlagen. Ich glaube, bis dahin hat niemand so recht daran geglaubt, dass tatsächlich jemand hinter der ganzen Sache steckt.«
»Was für Videos?«
»Von Ihnen. Im Einkaufszentrum.«
»Ich wusste gar nicht, dass da Kameras sind.«
Hätte er etwas länger darüber nachgedacht, hätte er mir die Videos vermutlich nicht gezeigt, ja nicht einmal erwähnt. Doch er zeigte mir die Datei, und ich spielte sie, ohne lange zu überlegen, ab.
Die Auflösung der Überwachungskamera im Einkaufszentrum war nicht besonders gut. Außerdem war sie direkt ins grelle Sonnenlicht gerichtet, wodurch ein Reflex entstand, der fast das ganze Bild verdunkelte und den Rest verschwommen erscheinen ließ. Trotzdem konnte ich eine Person erkennen, die vor der Auslage eines Geschäftes stand. Im ersten
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