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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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Moment dachte ich, dass ich auch so einen Mantel habe, – dann begriff ich, dass ich es selbst war. Wenn man sich auf einem Video sieht, ist das immer ein wenig seltsam, aber dieser Anblick war schrecklich – ich erkannte mich kaum wieder, nicht nur wegen der verschwommenen Aufnahmen, sondern weil ich so unglaublich seltsam dastand. Mit den hängenden Schultern und dem gesenkten Kopf sah ich total erledigt aus. Verloren.
    Dann bemerkte ich, dass ein wenig rechts von mir eine weitere Person stand. Ich sah, wie ich nickte, dann noch einmal nickte – erinnern konnte ich mich nicht daran. Er sprach mit mir. Er stand mit dem Rücken zur Kamera, sein Oberkörper war durch das Sonnenlicht in Dunkelheit gehüllt, man sah also nur, dass es ein Mann war, der eine kurze, dunkle Jacke trug, eine dunkle Hose und passende Schuhe, keine weißen Turnschuhe.
    Dann wandte er sich langsam ab, und ein paar Sekunden später folgte ihm die Gestalt – also ich –, ohne den Kopf zu heben. Nicht unbedingt widerwillig, sondern völlig niedergeschlagen.
    »Ich kann gar nicht glauben, dass ich das bin«, sagte ich schließlich.
    »Ich weiß«, sagte er. »Unheimlich, was?«
    »Gibt es noch weitere Überwachungskameras? Hat die automatische Nummernschilderkennung etwas ergeben?«
    »Nein«, sagte er. »Das haben wir überprüft. Das Einkaufszentrum hat keine automatische Nummernschilderkennung; die nächste dafür ausgestattete Kamera befindet sich auf der Ringstraße. Allerdings wüssten wir auch nicht, womit wir die Daten vergleichen sollten, weil wir nicht wissen, wann oder wo er sich mit den anderen getroffen hat. Außerdem ist es schier unmöglich, ihn auf diesem Filmmaterial zu identifizieren. Deshalb haben wir ja gehofft, dass Sie sich an ihn erinnern.«
    »Ich kann mich an gar nichts erinnern«, sagte ich verblüfft. »Ich habe das Gefühl, als würde ich jemand anderem zusehen. Ich kann mich noch nicht einmal daran erinnern, dass ich dort gewesen bin und mit jemandem geredet habe.«
    Er klopfte mir auf die Schulter, und ich zuckte leicht zusammen. »Na schön«, sagte er. »Den kriegen wir schon, Annabel. Sie wissen, dass wir alles tun, was in unserer Macht steht, nicht wahr?«
    Bis der nächste Fall reinkommt, dachte ich, sprach es aber nicht aus. Dann kehrte ich wieder zu meiner Liste der Telefonnummern zurück. Vermutlich war es unkomplizierter und ging schneller, wenn ich die Anträge dafür selbst stellte, dachte ich.

 
    Colin
    Ein langer Abend auf einem gelben Plastikstuhl, der am Fußboden festgeschraubt war, zahlte sich schließlich aus. Stundenlang sah ich mir Leute an, die kamen und gingen. Ich beobachtete Streitereien, Meinungsverschiedenheiten, insgesamt fünf Frauen, die hinfielen – der Grund: ein Cocktail aus Alkohol, High Heels und dem Kopfsteinpflaster auf dem Platz –, und Polizisten, die im Einsatzwagen kamen und Leute in Gewahrsam nahmen, in Jacken mit Leuchtstreifen patrouillierten, Passanten wegscheuchten oder betrunkenen Frauen auf die Füße halfen.
    Schließlich sehe ich auch Audrey, die mit einer Freundin das Lokal verlässt. Es ist zehn vor zwölf – nicht gerade spät, doch spät genug. Mein Hintern fühlt sich taub an, und ich habe immer noch den schalen Kaffeegeschmack im Mund.
    Ich verlasse das Lokal, trete in die kühle Nachtluft hinaus und schwöre mir, diesen Laden nie wieder zu betreten. Ich schlinge mir den Schal um Hals und Kinn, setze die dunkle Wollmütze auf, sodass mein Kopf warm bleibt und ich den Überwachungskameras entkommen kann, die die Menschenmenge auf dem Platz genau im Visier haben.
    Audrey läuft mit ihrer Freundin zum Taxistand und reiht sich in die Schlange ein.
    Ich eile zu dem mehrstöckigen Parkhaus, in dem ich meinen Wagen abgestellt habe, und verliere ein wenig Zeit, als ich die Nummernschilder anbringe, die ich gestern auf dem Parkplatz hinter dem Büro von Garths Volvo geschraubt habe. Nur für den Fall, dass die Dinge nicht nach Plan laufen.
    Langsam biege ich um die Ecke zum Taxistand und zwar gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie sich Audrey von ihrer blonden Freundin verabschiedet. Audrey wartet nicht in der Schlange vor dem Taxistand. Sie geht zu Fuß. Freudige Erregung packt mich. Alles läuft gut, nein: perfekt. Ich hätte es nicht besser planen können. Ich biege nach links ab und parke in einer Seitenstraße. Aufgrund meiner Erregung und dem Gedanken, was später vielleicht passieren wird, kann ich mich nicht konzentrieren, darum starre ich auf die Uhr im

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