Wofür du stirbst
Manchmal ein oder zwei Minuten früher, manchmal ein wenig später, aber stets gegen sechs Uhr. Irgendwas an diesem zeitlichen Ablauf beunruhigte mich. Ich runzelte die Stirn und überlegte, was es sein könnte, kam aber nicht drauf. Vielleicht war es die Regelmäßigkeit, die Dreistigkeit, das Gefühl, dass die ganze Sache organisiert und geplant war. Ich wandte mich wieder der Tabelle und den Handys zu, die bei Robin Downley und bei Shelley Burton gefunden worden waren. Auf jeder Telefonrechnung war dasselbe Muster zu erkennen: regelmäßig eingehende Anrufe, jeden Abend, immer zur selben Zeit – dann zwei Anrufe in Abwesenheit – dann kein weiterer Kontakt. Es musste eine Verbindung geben – und immer wurden die Anrufe von einer anderen Mobilfunknummer aus getätigt.
Ich rief unser internes Telefonnummernverzeichnis auf, suchte mir Andy Frosts Handynummer heraus und rief ihn an. Es klingelte einmal, dann ging die Mailbox ran. Ich versuchte, ruhig zu überlegen, war aber so aufgeregt, weil sich der Fall vielleicht so einfach lösen ließ, dass ich auf dem Stuhl hin und her zappelte.
Das Beste wäre wohl, dachte ich, alles zu dokumentieren und eine Zusammenfassung mit Vorschlägen zu verfassen, denen man am Montag nachgehen konnte.
Ich starrte auf den Bildschirm, dann wieder auf das Telefon, dann rief ich Frosty erneut an, hinterließ ihm diesmal aber eine Nachricht auf der Mailbox. »Hallo, hier ist Annabel. Ich bin im Büro. Würden Sie mich bitte dringend zurückrufen?«
Ich starrte auf die schwarzen Fensterscheiben und lauschte der ungewöhnlichen Stille, die mir bis dahin noch nicht aufgefallen war: keine Lautsprecheransagen, keine klappernden Kaffeetassen in der Küche, kein Gelächter und Geplapper, kein Telefonklingeln. Als wäre ich ganz alleine in dem großen Gebäude. Ich wusste, dass das nicht stimmte – unten liefen die Vorbereitungen für ein hitziges Wochenende. Es war Freitagabend, bald würde die Nachtschicht die Spätschicht ablösen. Doch die Einsatzzentrale – schlief.
Ich fing an, den Bericht zu tippen, und schon bald war ich so darin vertieft, dass ich nicht hörte, wie sich hinter mir die Tür öffnete.
»Hallo«, sagte eine Stimme. »Was machen Sie hier denn noch so spät?«
Es war DCI Paul Moscrop. Ich war so auf meine Tabelle konzentriert, dass mir einen Augenblick sein Name nicht einfiel. »Ich wollte das nur noch fertig machen, Sir«, sagte ich.
»Ich wusste nicht, dass Sie schon wieder zurück sind, Annabel. Wie geht es Ihnen?«
Er lehnte an der Tür, die Krawatte gelockert, die Ärmel seines Hemds hochgekrempelt. Der Freitagnachmittag-Look, nur dass jetzt bereits Freitagabend war, und er längst zu Hause sein sollte.
»Ganz gut«, sagte ich. »Danke der Nachfrage. Ich wollte mich nur beschäftigen, denke ich.«
»Klar«, sagte er. »Na, schön, Sie zu sehen.« Er schenkte mir ein freundliches Lächeln und wandte sich zum Gehen um. »Arbeiten Sie nicht zu lange, ja?«
»Sir«, sagte ich, »hätten Sie vielleicht noch eine Minute?«
Er drehte sich in der Tür um, lächelte und sagte »Klar«, obwohl seine Haltung verriet, dass er so schnell wie möglich nach Hause wollte. Doch pflichtbewusst wie er war, beugte er sich zu mir herab und warf einen Blick auf die Tabelle. Ich erklärte ihm die Parallelen zwischen den Telefonrechnungen von Rachelle Hudson und den anderen fünf Verbindungslisten – und dass der Rest merkwürdigerweise nicht zu der Gruppe der Opfer gehörte.
»Außer, es gibt noch weitere Handys, die man aber entweder nicht gefunden hat oder die entfernt wurden, bevor man die Leichen entdeckte«, sagte ich. »Aber selbst dann waren ihre Anrufgewohnheiten anders, denn manche erhielten bis ein paar Wochen vor ihrer Entdeckung von mehreren Nummern Anrufe – Freunde und Familie, nehme ich an. Ich glaube, dass wir sie daher nicht zu den Opfern zählen sollten.«
Paul Moscrop zeigte mit dem Finger auf den Bildschirm. »Was ist das?«
»Die Liste der Nummern, die bei Rachelle und den anderen anriefen. Jedes Mal eine andere Telefonnummer.«
»Aber das Muster ist immer dasselbe?«
»Ja.«
»Interessant. Haben Sie schon die Telefondaten für die Nummern angefordert, von denen die Opfer angerufen wurden?«
»Nein, Sir. Ich habe eine solche Anfrage noch nie gestellt. Aber ich denke, dass wir sie dringend brauchen.«
»Richtig«, sagte er. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und wählte eine Nummer. »Können Sie mir das zumailen?«
»Ich stelle gerade einen
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