Wofür du stirbst
Ich ging am nächsten Tag alleine hin und auch an den zwei weiteren Prozesstagen. Mir war klar, dass die Presse sich auf den Fall stürzen und angesichts Leonards Prominenz über alles haarklein berichten würde; ich las also bewusst keine Zeitung und machte auch nicht den Fernseher an, wenn ich nach Hause kam.
Als das Urteil verkündet wurde, sprang ich im Gerichtssaal auf und schrie nur »NEIN!«, so laut ich konnte. Man bat mich, den Saal zu verlassen. Am nächsten Tag wurde das Strafmaß verkündet.
Der Prozess kam mich teuer zu stehen, er kostete mich meine Ehe. Obwohl ich Leonard immer zur Seite stand, wollte er mich nach seiner Verurteilung nicht mehr sehen. Ich durfte ihn nicht besuchen, obwohl ich direkt zum Gefängnis fuhr. Doch man sagte mir, dass selbst ein Gefangener niemanden sehe müsse, den er nicht sehen wolle.
Stephen kam nicht mehr vorbei. Ich telefonierte ein-oder zweimal mit Ina, doch sie ließen sich danach nie wieder am Sonntag zum Mittagessen blicken. Ich rief bei ihnen an, wollte die Mädchen sehen und fragte, ob ich mit ihnen etwas unternehmen dürfte, doch Ina flüchtete sich in Ausreden. Als ich sie schließlich bedrängte, sagte sie nur, Stephen wolle, dass die Mädchen mich erst wieder sähen, wenn sie viel älter wären. Ich verstand das alles nicht. Leonard wurden doch all die schrecklichen Dinge vorgeworfen, nicht mir. Doch Stephen meinte, dass ich es gewusst und ihm geholfen hätte, es zu vertuschen.
Ich hatte aber von nichts eine Ahnung gehabt. Ich konnte noch immer nicht glauben, dass das alles wahr war. Sie hatten ihn alle verleugnet, ihn im Stich gelassen.
Adrian fuhr mit Diane und Joshy zurück nach Australien, er rief mich zwar immer noch ab und zu an, doch wenn ich anzurufen versuchte, ging niemand ans Telefon. Monate und Jahre verstrichen, und seine Anrufe kamen immer seltener.
Auch zwischen mir und Janet veränderten sich die Dinge. Ich rief sie ab und zu an, plauderte mit ihr, doch es herrschte das ungeschriebene Gesetz, Leonard niemals zu erwähnen. Wir sprachen über die Kinder und Politik. Doch selbst diese Anrufe wurden irgendwann immer seltener. Sie war mir gegenüber reserviert, meine Heiterkeit schien sie anzuwidern.
Ich ging aus, aber nicht mehr so häufig wie früher. Ich hatte das Gefühl, dass ich meinen Freunden nicht trauen konnte, nachdem einer von ihnen einer Tageszeitung ein »Exklusivinterview« gegeben hatte, und plötzlich alles erneut aufgerollt wurde.
Ich besuchte ab und zu in der Uni einen Yogakurs, doch als dieser zu Ende war, buchte ich keinen neuen. Es brachte nichts. Ich war am Ende angekommen. Also zog ich mich ins Haus zurück, das wunderschöne Haus, das uns alle behütet, uns Schutz geboten hatte, und in dem meine Kinder zu starken Männern herangewachsen waren. In das Haus, das mich in den einsamen Monaten beschützte, als die Wölfe an meiner Tür scharrten. Ich sperrte mich ein, schloss die Augen und wartete.
Annabel
Sam wollte mich gerade zur Arbeit fahren, als sein Handy klingelte. Ich war bereits eine halbe Stunde zu spät dran, doch statt mich zu bitten, für ihn zu antworten, fuhr er an einer Bushaltestelle raus und ging selbst ran. »Hallo? … Immer mit der Ruhe, was ist los?« Dem folgte eine lange Pause, eine gedämpfte Stimme war zu hören, die irgendwas in Sams Ohr quasselte.
Es war Montag, es regnete und gegen meinen Willen wohnte ich immer noch in der Keats Road. Gestern Abend waren ich, Sam und die Katze im Korb zu mir nach Hause gefahren. Das Haus hatte muffig gewirkt, als wäre es beleidigt, weil ich gegangen war. Ich stand im Wohnzimmer und sah mich um, Sam öffnete den Katzenkorb. Die Katze hüpfte heraus, lief in der Küche herum und schoss dann durch die Tür, die ich zum Lüften geöffnet hatte.
Wir gingen nach draußen, um nach ihr zu suchen, schüttelten eine Schachtel mit Trockenfutter und riefen nach ihr. Schließlich machte ich mir ein wenig Sorgen.
Sam kochte Pfefferminztee, denn ich hatte keine Milch im Haus. Wir saßen bei geöffneter Tür am Küchentisch und hofften, die Katze würde bald von selbst hereinkommen, sobald sie begriffen hatte, dass sie wieder zu Hause war.
»Ich wünschte, du würdest es dir noch mal überlegen«, sagte Sam.
»Was denn?«, fragte ich.
»Ob du tatsächlich ganz alleine hierbleiben willst.«
Ich nippte an meinem Tee, obwohl er noch glühend heiß war. »Ich finde es einfach komisch, bei einer Familie zu wohnen, die ich kaum kenne. Findest du das nicht auch?«
Er
Weitere Kostenlose Bücher