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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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norwegisches Mädchen namens Ina. Sie zogen in den Norden Londons und bekamen zwei Töchter. Ich sah sie regelmäßig, mindestens aber einmal im Monat. Sie kamen meistens sonntags zum Mittagessen. Mein jüngerer Sohn Adrian hatte ein Mädchen kennengelernt, mit dem er viel auf Reisen ging. Irgendwann ließen sie sich in Australien nieder, weil ihre Familie dort wohnte, ein Jahr später kam ihr Sohn zur Welt. Sie heirateten nie. Natürlich sah ich sie nicht so oft wie Stephen und Ina. Adrian und Diane kamen einmal an Weihnachten. Und sie zu meinem sechzigsten Geburtstag. Und sie kamen zum Prozess.
    Man holte ihn an einem frühen Dienstagmorgen ab. Er lag noch im Bett und schlief, während ich bereits wach war, weil ich zu jener Zeit Schwierigkeiten hatte, bis nach fünf Uhr zu schlafen. Ich hatte mir eine Tasse Tee gemacht, saß am Küchentisch, las die Zeitung vom Vortag und wartete, dass es richtig hell würde, damit ich rausgehen und weiter Unkraut jäten konnte, womit ich am Abend zuvor in der Dämmerung aufgehört hatte.
    Dann klopfte es an der Tür. Ich dachte noch, der Postbote ist heute aber früh dran, doch natürlich war es nicht der Postbote. Es waren zwei Polizisten, ein Mann und eine Frau.
    »Was ist los? Ist irgendwas mit den Jungs? Was ist passiert?«, fragte ich.
    »Mrs. Newman, wir müssen mit Ihrem Mann sprechen. Ist er da?«
    Ich sah mir den Ausweis an, den der Mann mir hinhielt, dann ließ ich die beiden herein.
    »Wo ist Ihr Mann?«, fragte die Frau, als sie in der Eingangshalle standen. »Wo ist Leonard?«
    »Er schläft selbstverständlich noch – es ist schließlich erst halb sechs. Worum geht es denn?«
    Der Polizist ging nach oben, ich wartete mit der Polizistin in der Küche. Oben war alles sehr ruhig. Niemand schrie, es flogen auch keine Gegenstände herum, nichts ging zu Bruch. Ein paar Minuten später kam Leonard mit dem Polizeibeamten die Treppe herunter. Er war angezogen, trug das, was er zur Gartenarbeit getragen hätte, eine Jeans und einen Pulli über einem alten Hemd. Die Haare standen ihm zu Berge, er hatte sich nicht gekämmt. Er stand mit dem Beamten in der Tür, und einen schrecklichen Moment lang dachte ich, dass er mich gar nicht zur Kenntnis nahm, also rief ich: »Leonard!«
    Er sprach einen Augenblick mit dem Polizisten, dann kam er in die Küche. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war schrecklich, als habe man ihm eine furchtbare Nachricht erteilt.
    »Leonard, was ist los? Was um alles in der Welt ist passiert?«
    Er kam nicht auf mich zu oder versuchte mich zu berühren. Er sagte nur fünf Worte: »Es tut mir so leid.«
    Er sagte nicht einmal meinen Namen.
    Als sie ihn fortbrachten, rief ich seinen Anwalt an, der mir versprach, so schnell wie möglich aufs Polizeirevier zu fahren. Mein Haus war voller Leute; am Ende wusste ich nicht einmal, wer sie waren. Ich machte ihnen Tee, ein paar sahen mich mitleidig an, andere wiederum hatten einen Ausdruck im Gesicht, denn ich nicht entschlüsseln konnte.
    Sie nahmen Leonards Büro auseinander. Sie packten seinen Computer in eine Plastiktüte und nahmen ihn mit, auch seinen Laptop und alle Handys, selbst meines.
    Vom Festnetz aus rief ich Stephen an. Ihm schien der Ernst der Lage nicht klar zu sein. Er wollte sich gerade auf den Weg zur Arbeit machen und mich am Abend zurückrufen. Erst als ich zu weinen begann und hysterisch wurde, versprach er mir, sofort vorbeizukommen. Dann versuchte ich Adrian in Australien zu erreichen, doch es ging niemand ans Telefon.
    Ich dachte, er sei wegen Steuerhinterziehung verhaftet worden. Das war mein erster Gedanke, und auch noch lange danach kam für mich kein anderes Vergehen infrage. Das schien mir am wahrscheinlichsten und erklärte, weshalb sie sein Büro auf den Kopf stellten, statt das ganze Haus zu durchsuchen.
    Stephen fuhr am Nachmittag aufs Polizeirevier, ich blieb zu Hause, räumte auf und putzte, doch kurz darauf kam er wieder zurück. Er hatte nichts erfahren. Sein Vater war noch beim Verhör. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass er heute noch entlassen würde. Ich schickte Stephen mit einer Tasche zurück aufs Revier, in die ich einen Pyjama, einen Morgenmantel und seinen Kulturbeutel packte. Und ein sauberes Hemd.
    »Mutter, er übernachtet nicht in einem verdammten Hotel«, sagte Stephen.
    »Das ist mir egal«, antwortete ich. »Und keine solchen Ausdrücke, bitte.«
    Er tat, worum man ihn gebeten hatte, doch als er zurückkam, brauchte er noch etwas. Er hatte seinen Vater nicht sehen

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