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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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erwarten hatten, trotzdem litten die Jungs furchtbar darunter. Adrian, Diane und meinen kleinen fünfjährigen Enkel Joshy zu sehen – das war in vielerlei Hinsicht schön und schrecklich zugleich. Diane blieb eine Woche bei uns, doch als der Prozess begann, fuhr sie mit Joshy zu ihren Eltern nach Schottland. Adrian und Stephen blieben bei mir.
    Ich war jeden Tag bei den Verhandlungen. Nur am zweiten Prozesstag, als die Bilder gezeigt wurden, die man auf seinem Computer gefunden hatte, kam ich nicht. Sie waren gut versteckt gewesen, was mich zu der Überzeugung brachte, dass sie jemand ohne Leonards Wissen dort abgelegt haben musste. Er war Führungskraft bei einem der größten Computer-Hardwarehersteller der Welt gewesen, hatte aber keine Ahnung, wie diese Dinger überhaupt funktionierten. Er hatte Waren gekauft und verkauft, mit den Aktionären verhandelt und den Handel organisiert; er hatte keine Ahnung, wie man eine Festplatte verschlüsselte oder sonst irgendwas tat, wofür man ihn beschuldigte.
    Wie dem auch sei, ich hatte keinerlei Bedürfnis, die Fotos zu sehen.
    Doch Stephen und Adrian sahen sie sich an. Selbst Janet war dabei. In jüngeren Jahren hatte sie in einem Frauenhaus gearbeitet und behauptet, nichts könne sie mehr schockieren; sie hatte viel gesehen, aber offenbar längst noch nicht alles.
    An jenem Tag kamen sie schweigend nach Hause. Ich hatte einen üppigen Rinderbraten und dazu Yorkshire-Pudding, Röstkartoffeln, Pastinaken, Kohl, Karotten, Bratensauce und sogar Meerrettichsauce gemacht. So konnte ich mich in den Stunden ablenken, in denen das Haus leer war. Doch als sie nach Hause kamen, wollte niemand etwas essen. Die drei setzten sich an den Küchentisch, redeten und versuchten irgendwie, das Ganze zu begreifen, während ich tranchierte und auftischte. Auf einmal schien ihre positive Einstellung verschwunden zu sein. Niemand sprach mehr davon, wie man dem Anwaltsteam helfen konnte, das Leonard angeheuert hatte. Sie redeten nur noch davon, wie sie das Gesehene verarbeiten konnten.
    Ich versuchte sie zu verstehen, versuchte sie wieder aufzurichten, ihnen zu sagen, dass diese Trübsal Leonard nicht helfen würde. Ich sagte ihnen, dass sie etwas essen sollten, weil sie das stärken würde und sie sich danach besser fühlen würden.
    Stephen schrie mir entgegen, es gebe nichts mehr zu richten, ein Braten zum Abendessen würde die Sache auch nicht aus der Welt schaffen.
    Janets Mann kam vorbei und holte sie ab. Eigentlich hätte er zum Abendessen bleiben sollen, doch sie fuhren auf der Stelle nach Hause. Die Jungs saßen in der Küche, ich saß im Esszimmer alleine am Tisch, den ich für sechs Leute gedeckt hatte (ich hatte wie jeden Tag auch Leonards Platz am Kopfende des Tisches gedeckt, egal, ob er da war oder nicht). Der Braten war auf den Punkt genau gar, doch jeder Bissen schmeckte nach Ärger und Wut über das Versagen meiner Söhne, die ihren Vater in seiner Not alleine ließen, und ihre Weigerung, das zu essen, was ich den ganzen Tag lang für sie zubereitet hatte.
    Als ich fertig war, ging ich wieder in die Küche. Sie unterhielten sich, verstummten aber, als ich reinkam.
    »Wie wär’s mit Nachtisch?«, fragte ich so fröhlich wie möglich. »Ich habe eine Kleinigkeit gemacht – wollt ihr was?«
    Stephen stand plötzlich auf, wobei sein Stuhl geräuschvoll über die Terrakotta-Fliesen scharrte. Er ging ohne mich anzusehen an mir vorbei und verließ den Raum.
    »Adrian, was ist mit dir? Möchtest du eine Kleinigkeit?«
    »Nein, Mom«, sagte er.
    Ich setzte mich zu ihm und legte meine Hand auf seine. Tränen rannen seine Wangen hinab. Der Anblick meines erwachsenen Sohnes, in Tränen aufgelöst, traf mich mehr als alles andere.
    »Alles in Ordnung«, sagte ich und legte meine Hand auf seine Schulter. »Es wird alles wieder gut, Liebling! Sie werden bald einsehen, dass das alles ein schrecklicher Irrtum war, und ihn wieder freilassen. Dann ist alles wieder wie früher.«
    »Du begreifst nicht«, sagte er. »Diese Bilder …«
    »Ich weiß, ich weiß. Das muss schrecklich für dich gewesen sein. Aber die waren auf seinem Computer versteckt und …«
    »Er war auf den Bildern, Mom. Dad war auf einigen Bildern zu sehen.«
    »Aber man kann doch heute Bilder bearbeiten, oder? Man kann sie retuschieren oder wie man das nennt. Man kann sie manipulieren –«
    »Mom, er war es. Du hättest es sehen müssen …«
    Ich glaubte es immer noch nicht.
    Danach gingen sie nicht mehr mit zum Gericht.

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