Wofür du stirbst
Bedingungen. Du hast die Wahl.«
Technisch gesehen ist es wirklich ganz einfach. Die Methoden, die ich gelernt habe – Sprachmuster, die nur durch eine einfache Unterhaltung einen Trancezustand und ein hohes Maß an Entspannung in den Menschen herbeiführen –, waren schon immer der einfachere Teil der Übung. Dabei geht es lediglich darum, genau auf das zu hören, was einem die Menschen erzählen, nicht nur mit ihren Worten, sondern auch mit ihren Körpern, mit ihren Augen, ihren Gesten und Körperhaltungen und den feinen Änderungen in ihrem Tonfall. Das ist keine Quantenphysik (ein unentschuldbares Klischee), aber es ist auch keine Pseudowissenschaft. Wenn man sich damit auskennt, ist es erstaunlich einfach.
Jetzt möchten Sie bestimmt gerne wissen, wie ich das mache, nicht wahr? Ich kann mir Ihr brennendes Interesse und Ihre Neugier vorstellen, die andere vielleicht als krankhaft bezeichnen würden. Ich kann es am Glanz Ihrer Augen erkennen. Schön, fragen Sie mich! Kommen Sie. Ich weiß, dass Sie es kaum erwarten können …
Wie auch immer, ich kann und will die Details nicht preisgeben. Glauben Sie etwa, ich wäre zufällig darüber gestolpert? Glauben Sie, diese Bewusstseinsstufe kann jeder erreichen? Das ist ein langwieriger Prozess, bei dem man nicht nur eine Technik erlernen, sondern sich auch bemühen muss, sie jeweils auf das betreffende Individuum zuzuschneiden. Alles beginnt mit einer einfachen Unterhaltung, doch das ist nur das erste von vielen Treffen und Unterhaltungen. Der schwierige Teil besteht darin herauszufinden, ob sie bereit sind; herauszuhören, ob sie nah genug dran sind, damit es funktioniert.
Bei Leah bin ich mir nicht so sicher, ob sie wirklich schon an diesem Punkt ist, also ist es wohl besser, sie ein paar Wochen alleine zu lassen und mich erst danach wieder mit ihr in Verbindung zu setzen. Sie wird den einen oder anderen Weg gehen. Wenn sie den rechten Weg geht, stehe ich ihr zur Verfügung.
Manchmal treffe ich auf Menschen, die noch nicht bereit sind, die lasse ich alleine weitermachen. Wenn sie mich später dann doch noch brauchen, werden sich unsere Wege wieder kreuzen.
Es ist ja nicht so, als hätte ich sonst niemanden, um den ich mich kümmern muss.
Annabel
Ich fühlte mich wie ausgebrannt, als ich am Montagmorgen zur Arbeit kam. Der Himmel war dunkelgrau, Regen hing in der Luft, genau wie in meinem Herzen.
Kate hatte heute einen freien Tag, was bedeutete, dass nur ich und Trigger im Büro sein würden. Ich war allerdings heute nicht in der seelischen Verfassung, mich mit seinen Stimmungsschwankungen zu befassen, die von froh zu mürrisch wechselten. Doch im Büro war niemand. Wieder einmal stand der Milchkarton, den ich erst am Freitag gekauft und von dem ich nur einen Schluck genommen hatte, leer im Kühlschrank. Ich brauchte unbedingt eine Tasse Tee, und der Milchdiebstahl, eigentlich nur eine Kleinigkeit, brachte mich fast zum Heulen. Vermutlich hatten ihn die von der Frühschicht geleert. Sie kamen bereits weit vor den Öffnungszeiten der Geschäfte ins Büro und brauchten etwas zu trinken, damit sie bis zur Dämmerung durchhielten. Trotzdem war das keine Entschuldigung für die Faulheit oder die Gedankenlosigkeit, keine eigene Milch mitzubringen. Vor dem Kühlschrank in der Küche der Verwaltungsebene hing aus gutem Grund ein Vorhängeschloss.
Also machte ich mir eine Tasse grünen Tee und loggte mich in das System ein. Ich öffnete meine Mails. Vierundzwanzig neue Nachrichten, seit ich mich gestern Abend abgemeldet hatte. Wo kamen die bloß alle her?
Ich scrollte hinunter, suchte nach etwas Interessantem, wobei meine Aufmerksamkeit von einem Namen angezogen wurde: Sam Everett. Doch zunächst überflog ich die Polizeiberichte und Aufforderungen, mich aus diversen Systemen auszuloggen (die ich sowieso nicht nutzte), weil der Server neu gestartet werden müsse. Eine Mail von der Freizeitvereinigung der Polizei fragte an, ob ich an der monatlichen Lotterie teilnehmen wollte, ein Offizier aus dem Einsatzkommando plante einen Marathonlauf in Tibet und suchte noch Sponsoren, zwei neue Mitarbeiter der Abteilung für strategische Planung baten um zwei weitere Ausgaben des zweimonatlich erscheinenden Violence Profile .
Das war’s. Ich konnte mich nicht länger davor drücken. Sam Everett – Nachrichtenredaktion, Briarstone Chronicle . Der Titel der Mail: »Kürzliche Todesfälle.«
Liebe Annabel,
Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, dass ich Sie direkt
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