Wofür du stirbst
ein paar Minuten.«
Er legte auf, ich steckte mein Handy zurück in die Tasche und sah aus dem Fenster zu den Häusern am Straßenrand hinüber. Große Häuser mit großen Vorgärten. Der Bus blieb im Verkehr vor einem Haus stehen, das offensichtlich leer stand; keine Vorhänge an den Fenstern, der Garten war überwuchert, überall wuchs Unkraut zwischen den Fugen in den Pflastersteinen. Lag am Ende auch da drinnen jemand, der darauf wartete, gefunden zu werden?
Ein paar Minuten später bog der Bus um die Ecke in die High Street ein. Ungefähr vierhundert Meter weiter befand sich der Eingang zum Einkaufszentrum; um zur Arbeit zu kommen, konnte ich entweder dort oder beim Kriegerdenkmal aussteigen. Von der Haltestelle vor dem Einkaufszentrum lief ich meist durch die frühmorgens meistens kalten und menschenleeren Arkaden, aber um diese Tageszeit würde es hier nur so von shoppenden Leuten wimmeln. Auch der Bus war voller Leute, die dort aussteigen wollten. Das war der Grund, weshalb er sich eine Haltestelle vorher mit mir treffen wollte – da würde ich als Einzige aussteigen. Er musste dann nicht lange nach mir Ausschau halten und riskierte nicht, dass ich in der Menge verschwand.
Ich stand auf, ging nach vorne, hielt mich an einer Stange fest und taumelte, als er sich seinen Weg durch die Schlaglöcher bahnte. Durch die Windschutzscheibe sah ich eine Gestalt, die an der Bushaltestelle wartete. Als wir näher kamen, wurde mir klar, dass das Sam Everett sein musste.
Er war jünger als erwartet, jedenfalls mit Sicherheit jünger als ich, vermutlich nicht älter als fünfundzwanzig. Er hatte dunkles Haar, das so lang war, dass es ihm in Locken über den Mantelkragen fiel. Er trug eine hübsche Brille, schwarze Jeans und einen schwarzen, dreiviertellangen Mantel über dem Tour-T-Shirt einer Rockband. Ich hatte ihn schon irgendwo einmal gesehen, aber mir fiel nicht mehr ein, wo. Als ich aus dem Bus stieg, sah ich, dass er ein Pulp-T-Shirt trug, daraufhin taute ich ein wenig auf, denn an der Uni war das meine Lieblingsband gewesen. Ich lächelte ihn an.
»Annabel?«, fragte er, streckte mir seine Hand entgegen und schüttelte sie. »Angenehm, Sam Everett.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte ich.
»Sollen wir hier reingehen?«
Wir gingen in ein Café namens Lunch Box. Es war früher mal ein billiges Speiselokal für Taxichauffeure und Busfahrer gewesen, dann war es renoviert und neu ausgestattet worden und servierte nun neben dem traditionellen englischen Frühstück und Chip Butties auch Panini und Salate.
Ich entdeckte einen freien Tisch hinten im Lokal, und während Sam am Tresen stand und für uns bestellte, beobachtete ich ihn und überlegte, dass er irgendwie einen verlorenen Eindruck machte. Ich weiß auch nicht, was ich erwartet hatte oder wie ein Journalist aussehen sollte, aber vermutlich nicht so. Ich fragte mich, warum er mir bekannt vorkam, bis mir klar wurde, dass er der Journalist gewesen war, der an meine Tür geklopft hatte, als ich Shelley Burton gefunden hatte. Der Typ mit der Fotografin im Schlepptau.
»Danke«, sagte ich. »Was schulde ich Ihnen?« Ich hatte bereits meinen Geldbeutel herausgezogen, doch er winkte nur ab.
»Schon in Ordnung«, sagte er.
Wahrscheinlich konnte er das sowieso als Spesen abrechnen, also steckte ich meinen Geldbeutel wieder weg und verlor kein Wort mehr darüber. Nach der Kälte draußen war es hier drinnen wohlig warm, ich spürte, wie meine Wangen zu glühen begannen. Vermutlich war das keine gute Idee gewesen, dachte ich noch. Ich sollte nicht mit diesem Mann hier sitzen.
»Also«, sagte Sam, als der Mann vom Tresen zwei Kaffee brachte und sie vor uns auf den Tisch stellte. »Sie arbeiten an der Geschichte mit den verwesten Leichen, stimmt’s?«
»Ich würde nicht unbedingt sagen, dass ich daran arbeite. Ich habe lediglich versucht herauszufinden, wie viele es sind und ob es eine Verbindung zwischen ihnen gibt. Hören Sie, es wäre wohl besser, wenn Sie sich an die Presseabteilung wenden, finden Sie nicht?«
»Das habe ich ja versucht; ich weiß, das wäre der offizielle Weg, aber die wussten von nichts. Oder wollten nicht darüber reden.«
»Ach?«
»Vielleicht wissen Sie nicht, dass Ihre Behörde nicht gerade mit Informationen um sich wirft. Man erfährt nur so viel, wie man erfahren soll. Und das ist nicht besonders viel.«
»Oh«, sagte ich.
»Ich bin mit Ryan Frost zur Schule gegangen. Andrew Frost ist sein Vater. Ich treffe mich
Weitere Kostenlose Bücher