Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
Vom Netzwerk:
aus der Küche, eile an den Schreibtischen vorbei zum Empfang und verschwinde in der Behindertentoilette hinter den Fahrstühlen. Ich verriegle die Tür, öffne meine Hose und breite die Doppelseite mit den Fotos der Toten vor mir auf dem schmutzigen Boden aus. So habe ich sie noch nie gesehen, lächelnde junge und glückliche Gesichter. Das war, bevor ich ihnen begegnete, sie von ihren Qualen befreite, ihnen den Ausweg zeigte. Sie alle noch einmal zu sehen erregt mich nur noch mehr, ich wichse so heftig und stoße so kräftig in meine Faust, dass es beinahe wehtut, bis ich Erleichterung finde und auf die Zeitung, mitten auf ihre Gesichter komme.

 
    Annabel
    Der Park&Ride war dienstags um die Mittagszeit recht ruhig. Ich bekam den Parkplatz ja immer nur um sieben Uhr morgens zu Gesicht, als bereits die Busse fuhren, kaum Autos dort standen. Jetzt musste ich ganz nach hinten durchfahren, um noch einen freien Platz zur ergattern. Das war ärgerlich, weil ich den ganzen Weg bis zur Bushaltestelle laufen musste und nach Feierabend wieder zurück zu meinem Wagen, bevor ich nach Hause fahren konnte. Außerdem würde ich dann sicher erst zwei, drei Straßen von zu Hause entfernt einen Parkplatz finden.
    Ich hatte am Morgen Gleitzeit in Anspruch genommen, weil ich mit einer Migräne aufgewacht und mir übel geworden war. Ich hatte fast damit gerechnet, dass sie den ganzen Tag anhalten würde, doch als die Schmerzen um elf Uhr nachließen und sich in ein dumpfes Hämmern verwandelten, wurde mir langweilig.
    Als ich im Bus saß, klingelte mein Handy. Das passierte so selten, dass ich jedes Mal zusammenzuckte. Ich kramte nach dem Telefon, das ganz unten in der Tasche vibrierte und eine blecherne Melodie von Mozart wiedergab, wühlte in dem Krimskrams, den ich immer mit mir herumschleppte und nie brauchte. Jemand, der hinter mir saß, mokierte sich verärgert über den Lärm, der immer lauter und lauter wurde, während ich meine Tasche durchsuchte.
    Endlich, als ich schließlich schon der Überzeugung war, der Anrufer würde im nächsten Moment an die Mailbox weitergeleitet, konnte ich das vibrierende Handy fühlen und griff danach.
    »Hallo?«
    Es folgte eine Pause, und wieder dachte ich, dass die betreffende Person aufgelegt hatte.
    »Hallo, spricht da Annabel?«
    »Ja«, sagte ich und fragte mich, ob das ein Verkaufsanruf war und wie ich ihn wieder loswerden konnte. »Ich sitze gerade im Bus und verstehe Sie schlecht.«
    »Hier ist Sam Everett«, sagte die Stimme. »Ich bin Journalist beim Briarstone Chronicle .«
    »Oh ja, ich habe Ihre Mail bekommen. Woher haben Sie meine Mobilnummer?«
    »Äh – eine Dame in Ihrem Büro hat sie mir gegeben. Tut mir leid, sie sagte, es würde Ihnen nichts ausmachen.«
    Na klar. So was würde auch nur Kate denken; mir machte ja nie etwas was aus, oder? Ich war sauer, aber das änderte jetzt auch nichts mehr.
    »Nein, schon in Ordnung.«
    Aus irgendeinem Grund hatte ich gedacht, Sam Everett sei eine Frau. Warum, wusste ich auch nicht; vermutlich dachte ich, dass sich eher einfühlsame Journalistinnen für menschliche Schicksale interessierten. Vielleicht ging ein Mann wie Sam Everett ganz anders an die Sache ran – vielleicht war er an den Leichen interessiert, an der Verwesung, den möglichen Gewalttaten, die dahintersteckten.
    »Können Sie sprechen?«
    »Nicht wirklich. Ich sitze im Bus und bin auf dem Weg zur Arbeit.«
    »Ach so. Vielleicht könnten wir uns ja später treffen. Wann haben Sie Feierabend?«
    »Na ja, ich fange heute sowieso schon später an.«
    »Es dauert auch nicht lange. Ich bin gerade im Zentrum und könnte Sie vom Bus abholen und Ihnen einen Kaffee vorbeibringen. Was halten Sie davon?«
    »Also …«
    Eigentlich wusste niemand, dass ich überhaupt zur Arbeit kommen würde. Ich hatte nicht angerufen, um Bescheid zu sagen. Weder Kate noch Bill wären an ihre Telefone gegangen. Und falls doch, hätte es sie nicht weiter interessiert.
    »Ich wäre Ihnen wirklich dankbar«, sagte Sam. »Ich glaube, wir könnten uns in der Sache gegenseitig helfen, wissen Sie. Niemand nimmt das alles ernst, aber es kommen einfach zu viele Menschen ums Leben.«
    »Ja«, sagte ich. Wohin sollte diese Unterhaltung führen? Mir wurde langsam mulmig.
    »Also, treffen Sie sich mit mir? In welchem Bus sitzen Sie?«
    Ich sagte es ihm, was er als Bestätigung unserer Verabredung auffasste.
    »Steigen Sie eine Haltestelle vor dem Einkaufszentrum aus, ich warte dort auf Sie, okay? Also dann, bis in

Weitere Kostenlose Bücher