Wofuer wir kaempfen
fließen. Denn mein Tino ist sehr nahe am Wasser gebaut. Ich habe ihm den Ring angesteckt, dann kamen auch schon die ungläubigen Fragen aus der Familie: »Ja, wie, wieso machst du jetzt den Antrag?« Aber das war eine unwichtige Frage. Die einzig für mich bedeutsame Frage hatte Tino einfach mit »Ja« und seinen Tränen beantwortet. Die Hochzeit wurde für das kommende Jahr im Frühling geplant. Die Zukunft sah für mich in diesem Moment aus wie eine große Blumenwiese, durch die ich zusammen mit Tino laufen würde.
Tinos Verletzung hat mich keinen Zentimeter von diesem Plan abbringen können. Im Gegenteil. Die Heirat würde mein Bekenntnis
zu Tino sein, dass wir die Folgen des Anschlages zusammen durchstehen würden und ein Abschluss all dessen, was ich in den vorausgegangenen Monaten gezeigt hatte: dass ich diesen Mann nie wieder verlassen werde. Dass ich mit ihm alles ertragen und tun werde, damit es ihm gut geht. In den Nächten an Tinos Krankenbett hatte ich ihm das immer wieder versprochen. Wir mussten nicht groß darüber reden. Er wusste das. Er war dankbar. Und ich liebte ihn in seiner ganzen Hilflosigkeit.
Ich bewunderte ihn sogar mehr noch als in unserer Kennenlernphase, wo er mir als sportlich durchtrainierter, immer lustiger Mensch gegenüberstand. Es war sein ungebrochener Wille, seine Behinderung zu ignorieren und seinen Körper wieder so beherrschen zu wollen, dass er sein Leben selbst gestalten kann. Die Hochzeit sollte für uns zum Neuanfang werden. Ein Zeichen, dass wir nicht gescheitert sind und uns auch zukünftig nicht unterkriegen lassen würden. Irgendwie war es auch unser Sieg über den Attentäter, der mit seinen Zielen endgültig gescheitert war.
Ich bin dann Ende Juni 2006 ins Rathaus in Murnau zum Standesbeamten, um den Hochzeitstermin zu vereinbaren. Normal ist eine wochenlange Wartezeit – aber auf dem Standesamt in Murnau kannte man unsere Geschichte schon und alle waren wirklich sehr bemüht, einen früheren Termin zu finden. Der Termin wurde auf den 15. Juli 2006 festgelegt, auf den Tag genau acht Monate nach Tinos Rückkehr aus Afghanistan ins Krankenhaus nach Koblenz. Ich habe die Beamten um eine schriftliche Ausfertigung mit dem Aufgebot gebeten, weil ich das Tino als Überraschung ins Krankenhaus mitbringen wollte. Ich hoffte, ihm mit dem Aufgebot zusätzlich Kraft und ein Ziel zu geben, auf das er hinarbeiten konnte. Als ich zu ihm ins Krankenzimmer ging, war ich genauso aufgeregt
wie bei unserer Verlobung – ich wusste nicht, wie er reagieren würde. Ich habe ihm wie ein mittelalterlicher Kurierreiter das mit einem roten Band umwickelte Aufgebot auf sein Bett gelegt und wie schon bei dem Heiratsantrag gesagt: »Ich hab da mal was …«
Violetta war meine Trauzeugin. Unsere Männer waren von heute auf morgen zu körperbehinderten Menschen geworden, Vio und ich hatten alle Hochs und Tiefs dieser Geschichte zusammen durchlitten, uns verband dadurch etwas ganz Besonderes. Die Ereignisse der vergangenen Monate hatten unsere Familien fest zusammengeschweißt.
Mit Beharrlichkeit zum Altar
Während Tino im Krankenhaus trainiert hat, musste ich für die Hochzeit alles allein organisieren: Einladungen, Restaurant, Gästekarten, Hochzeitsessen … und dazwischen immer wieder ins Krankenhaus. Tino hatte sich wie damals schon bei seinen Eltern fest vorgenommen: »Ich stehe beim Jawort. Ich werde nicht im Rollstuhl sitzen, ich stehe, egal wie – aber ohne Krücken und andere Hilfsmittel.« Auch auf den Hochzeitswalzer hat er bestanden – schließlich heiratet man ja nur einmal. Dabei kann Tino gar nicht tanzen. Schon vor dem Anschlag konnte er das nicht. Jedenfalls nicht so, wie wir Frauen das mögen. Wir haben also geübt. Er stand mir dann dauernd auf den Zehen, weil er mit seiner Prothese natürlich nicht gemerkt hat, wo er hintritt. Während er mich von oben selig anlächelte, weil er überzeugt war, einen perfekten Walzer auf die Matte zu legen, hatte ich Tränen in den Augen. Und es war waren nicht Tränen der Rührung, sondern des Schmerzes. Ich sagte: »Au!«, und er sagte: »Hab ich dich erwischt?« Ich darauf: »Nein, erwischt kann man nicht sagen – du stehst die ganze Zeit auf meinem Fuß!«
Tino wollte Walzer tanzen und dabei konnte er noch nicht einmal richtig gehen mit der neuen Prothese. Immer wenn er abgelenkt war, vergaß er wieder, dass er nur noch ein Bein hatte. Einmal, als er im Badezimmer beim Rasieren war und sein Handy plötzlich klingelte, dreht
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