Wofuer wir kaempfen
November 2006, ein Jahr nach dem Anschlag, hat Tino zum letzten Mal seine Ausgehuniform angezogen. Stellvertretend für alle Soldaten der Bundeswehr wurde er zur NATO-Tagung nach Riga eingeladen, zusammen mit 26 weiteren Soldaten
aus den einzelnen Bündnisländern, die in Afghanistan im Einsatz standen.
Während der Schweigeminute für die Opfer und Gefallenen stand Tino auf dem Podium direkt hinter den Staatschefs, Außen- und Verteidigungsministern der wichtigsten westlichen Bündnisnationen. Angela Merkel saß für Tino nach militärischem Verständnis auf »10 Uhr«, direkt rechts vor ihm auf »5 Uhr« der amerikanische Präsident George W. Bush mit seiner Außenministerin Condoleezza Rice. Die Gedenkzeremonie wurde feierlich vollzogen mit einem Trompetensolo zum Abschluss, das Tino noch heute als den beeindruckendsten Moment der ganzen Tagung beschreibt. Tino hätte die Einladung nach Riga abgelehnt, wenn er nur wegen seiner Verletzung eingeladen worden wäre. Dann hätte Stefan genauso mit nach Riga müssen wie er und viele andere. Aber als Repräsentant Deutschlands und der Bundeswehr im NATO-Einsatz ausgewählt zu sein und dort aufzutreten, war eine große Ehre für ihn. So hatten die Verantwortlichen einmal auch die Menschen vor Augen, über deren Einsatz und Leben sie zu entscheiden haben.
Die Delegierten zollten den Gesandten aus der Truppe viel Beifall. Am Rande der Tagung traf Tino auch Verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung wieder, der ihn im Krankenhaus besucht hatte. Die NATO-Tagung in Riga war der Schlussakkord in Tinos Bundeswehrkarriere. Seine Ausgehuniform hat er danach in den Schrank gehängt und nie wieder angezogen. Der Auslandseinsatz der Soldaten Tino Käßner und Stefan Deuschl war damit beendet.
Die Hochzeit
Mein Schatz,
Ich möchte Dir meine Liebe geben,
Hier und heut’ mein ganzes Leben.
Ich will Dich lieben für alle Zeit,
Von jetzt bis in die Ewigkeit.
Ich will Dich begleiten auf Deinen Wegen,
Tag und Nacht bei Sonne und Regen.
Ich bin immer da für Dich,
Du bist mein Leben. ICH LIEBE DICH!
Antjes Hochzeitsgedicht für Tino, am 16. Juli 2006
Die Idee, Tino zu heiraten, hatte ich schon im April 2004 vor seinem dritten Afghanistaneinsatz. Ich wusste, dass es sich lohnt, auf diesen Mann zu warten und jede Nacht wach zu liegen und zu hoffen, dass ihm nichts passiert. Mit dem Heiratsantrag wollte ich Klarheit und Verbindlichkeit für eine Zukunft mit Tino herstellen. Tino hätte mir nie einen Heiratsantrag gemacht, nicht mal auf die Idee wäre er gekommen, und so habe ich das in die Hand genommen. Er hatte mich dazu ausdrücklich ermuntert, indem er einmal nach einem sehr schönen Abend vor dem Einschlafen so dahingesagt hatte: »Wenn du mich heiraten willst, dann frag mich.«
Also habe ich ihn gefragt. Mit Tinos Schwester hatte ich alles gut eingefädelt. Eines Tages beichtete mir Tino, dass er unseren Freundschaftsring nicht mehr finden könne – aber der war dank Heike schon längst beim Juwelier für die Gravur der Verlobungsdaten. 24. April 2005 würde in unseren Ringen als Datum stehen, Tinos Geburtstag. Ich wusste nicht sicher, wie Tino reagieren würde, wenn ich ihm den Antrag mache,
es hätte auch sein können, dass er beleidigt wäre, weil der Heiratsantrag ja eigentlich von Seiten des Mannes kommen muss, normalerweise. Aber ich bin ein sehr direkter Mensch und nehme die Sachen gerne selbst in die Hand. Und sein Geburtstag war ein gutes Datum – dann würde er zumindest seinen Verlobungstag später nicht so leicht vergessen.
Als es soweit war, war die ganze Familie im Wohnzimmer bei Kaffee und Kuchen beisammen. Tino und ich saßen auf der Couch mit Tinos Oma zwischen uns. Nicht ganz gelungen von der Aufstellung, aber in der Bundeswehr lernt man, spontan aus beliebigen Situationen das Beste rauszuholen. Als ich dachte, der richtige Moment sei gekommen, hörte ich meine Stimme plötzlich in das sanfte Klappern der Kaffeetassen sagen: »Also, ich hab da mal was …« Und über die faltigen Arme der Oma hinweg gab ich Tino seinen Ring und fragte: »Sag mal, würdest du mich heiraten?« Ich meine mich erinnern zu können, während ich um die Oma herum zu Tino schielte, dass ihre Tasse wackelte und Kaffee auf die Untertasse schwappte. Aber eigentlich hatte ich nur Augen für Tino. Es war sehr still im Zimmer. In diesen Situationen dehnen sich die Sekunden zu Minuten. Vor allem als ich sah: Tino ist völlig baff. Mund offen. Und dann sehe ich seine Tränen
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