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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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Weihnachtsüberraschung ausgedacht und nichts von der bevorstehenden Heimkehr des Vaters erzählt: »Ich wusste es selbst erst ein paar Tage davor – und es hätte ja auch noch schiefgehen können, wegen einer Entzündung, einer Komplikation. Deshalb habe ich den Kindern gesagt, dass wir nach Koblenz fahren und dem Papa einen Weihnachtsbaum bringen, damit er nicht so alleine ist. Als dann klar war, dass Stefan und Tino Weihnachten wirklich nach Hause kommen würden, habe ich nichts verraten. Und tatsächlich, einen Tag vor Heiligabend klingelte es plötzlich an der Tür und der Papa war da. Die Freude war ungeheuer groß, sehr viel Gefühl, sehr viele Tränen, sich umarmen, sich drücken – die Familie war wieder zusammen; endlich war Stefan zu Hause und alles würde wieder gut werden. Als ich die beiden Jungs abends ins Bett gebracht habe, kam wieder einer dieser Kindersätze, die man sein Leben lang nicht vergisst. Plötzlich fiel die ganze Freude von Robin ab und ich sah, dass ihn etwas schwer beschäftigte: ›Du Mama, weiß denn das Christkind eigentlich, dass der Papa jetzt hier ist und wir nicht nach Koblenz gefahren sind?‹ Das Christkind könnte sich ja mit all den Geschenken nach Koblenz verflogen haben. Eigentlich hätten wir das größte Geschenk ja schon bekommen, sagte ich, der Papa sei ja wieder da – und daher müsste das Christkind ja auch ganz genau wissen, dass wir zu Hause sind, es bestehe kein Grund zur Sorge. Und wie bei einem Lichtschalter war das Problem wieder ausgeknipst.
    Diese Ereignisse haben unsere Kinder stark gemacht. Sie haben
gelernt und erfahren, dass es im Leben ernste Krisen gibt – aber dass man damit fertig wird, wenn man für Lösungen offen ist und sie aktiv anstrebt.«
    Ende der Soldatenlaufbahn
    Tino hat im Jahr nach dem Anschlag einen Dienstunfähigkeitsantrag gestellt und im August 2007 die Bundeswehr verlassen, Stefan beantragte seine Dienstunfähigkeit 2008 und schied zum 31. 08. 2008 aus. Beide hätten nach dem Weiterverwendungsgesetz bei der Bundeswehr bleiben können – aber Tino sagte immer: »Entweder man ist voll und ganz Soldat oder gar nicht.« Er hatte ein neues Leben geschenkt bekommen und wollte es nutzen, er hatte vor, sich ab jetzt nur noch auf seine Karriere im Radsport konzentrieren.
    Unsere Familien haben das große Glück, dass wir Unterstützung von vielen Menschen erhalten haben und über die Bundeswehr sowie private Zusatzversicherungen auch finanziell von einem starken Netz aufgefangen worden sind. So können wir finanziell abgesichert leben. Wir haben hart kämpfen müssen, um unsere Welt langsam wieder aufzubauen. Wir haben ein Stück dieses Krieges in Afghanistan mit nach Deutschland nehmen müssen, aber wir haben beschlossen, dass wir uns das Leben und unseren Frieden dadurch nicht nehmen lassen. Am Anfang war ich noch unsicher, manchmal wütend, wenn die Leute mich und Tino angestarrt und getuschelt haben. Das tun sie heute auch noch – aber ich reagiere nicht mehr darauf. Einmal waren wir im Sommer in einem Sporthaus Turnschuhe kaufen. Weil es heiß war, hatte Tino kurze Hosen an. Ein Junge blieb stehen und starrte auf Tinos Beinprothese. Da Tino aus Prinzip auf sämtliche kosmetischen Verkleidungen seiner Prothesen verzichtet und man die bloße Struktur und die Titangelenke der Prothese sieht, wirkt sein Bein immer ein bisschen
robotermäßig, wie bei Arnold Schwarzenegger in Terminator . Ich habe auf Tinos Prothese gezeigt und den Jungen gefragt, ob er wissen will, was das ist. Er hat ja gesagt und ich habe ihm erzählt, dass Tino als Soldat in Afghanistan war und ein Terrorist ihm das Bein weggesprengt hat. Inzwischen war die Mutter herangeeilt, riss jetzt den Jungen weg mit einem kurzen, entschuldigenden Blick zu uns und schimpfte auf den Jungen los: »Ich habe dir schon hundertmal gesagt, du sollst aufhören mit dem scheiß Krieg spielen – da siehst du endlich mal, wohin das führt.« Damals hat mich das sehr geärgert, heute stehe ich darüber.
    Tino hat wirklich schweren Herzens seinen Dienst beendet. Stefan, der früher leidenschaftlich gerne Ski gefahren ist, hat einen Monoskikurs besucht und plant die Gründung einer Monoskischule für behinderte Menschen. Wie Tino hatte Stefan ähnliche Beweggründe, seinen Dienst in der Bundeswehr zu beenden: »Alles, was einen Soldaten ausmacht, das bin ich nicht mehr. Wenn ich meine Beine noch hätte, wäre ich jetzt immer noch Soldat – und würde aus Überzeugung meinen Dienst leisten.

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