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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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in die Klinik und blieb bis zum Abend – auch Vio kam uns immer wieder besuchen. Die Zeit im Krankenhaus hat mich noch tiefer hinabgezogen. Eine leichte Schwangerschaftsdepression machte mir zu schaffen, ebenso ein neuer ungewohnter Tagesablauf, der sich völlig an meinem Kind orientierte und mir den Schlaf raubte.
    Ich hatte ein schlechtes Gewissen Hanna gegenüber und machte mir Vorwürfe, keine gute Mutter zu sein. Meine Mutter Ilona peilte natürlich genau, was mit mir los war und kam häufiger zu Besuch, um mich zu unterstützen. Sie sagte dann immer: »Antje, du bist die beste Mama der Welt!« Das half kurze Zeit, aber irgendwie kam ich nicht heraus aus meinem Tief. Es wurde immer schlimmer.
    Dazu kam die für mich fehlende Lebensperspektive. In meiner Familie hatten Frauen immer Arbeit und ich suchte nach einer Beschäftigung, die ich mit der Kindererziehung in Einklang bringen konnte. Mein Geschäftsmodell, als Kosmetikerin für Beinenthaarung mit Zuckerpaste selbstständig zu arbeiten, eröffnete mir nicht die Verdienstmöglichkeiten, auf die ich gehofft hatte. Und Tino war plötzlich dauernd unterwegs zu Rennveranstaltungen oder Trainingslagern, es war schon fast so wie in seiner Bundeswehrzeit. Schlimmer noch: Wenn er kam, verschwand mein Mann im Fahrradkeller. Irgendwann saß ich tagelang nur noch vor dem Fernseher, habe geheult
und mich von irgendwelchen Soaps im Privatfernsehen berieseln lassen ohne hinterher sagen zu können, was ich da gesehen hatte. Schlechte Laune war mein Dauerzustand und Tino musste einiges aushalten, weil ich ihn häufig angefahren habe, was nur dazu führte, dass er noch häufiger im Fahrradkeller zu angeblich unaufschiebbaren Reparaturen verschwand. Es war eine Zeit, in der ich regelrecht eifersüchtig auf seine Fahrräder wurde, die ihm anscheinend mehr wert waren als ich. Wenn ich damit haderte, dass ich aus dem Leim ging, strahlte mich Tino immer hilflos an und sagte nur: »Mach doch einfach auch mal ein bisschen Sport!« Und verschwand – im Fahrradkeller. Es wurde Zeit zu handeln.
    Das erste Mal habe ich im Sommer 2010 über meine Krise geredet, als ich meinem Vater offenbart habe, dass ich in psychologischer Behandlung bin. Da hat er mich besorgt angeschaut und ich habe bemerkt, wie sehr auch ihn die Ereignisse die ganzen Jahre über beschäftigt hatten: »Antje, deine Mutter und mich hat das alles ja selbst schon so viel Kraft gekostet – wir haben uns immer wieder gefragt, wie macht die Antje das erst? Wie du das alles weggesteckt hast, war für uns erstaunlich, aber wir haben uns nie getraut nachzufragen.« Meine Eltern haben mich bestärkt, professionelle Hilfe anzunehmen. Es war ein langer Prozess, in dem ich intensiv an mir gearbeitet habe – er ist noch nicht abgeschlossen, aber ich sehe wieder Land. Äußerst hilfreich war auch, dass ich einen Job in meinem Beruf als Mediengestalter gefunden habe und Tino jetzt auch seinen Teil am Haushalt und bei der Betreuung von Hanna übernimmt. Langsam kommt alles wieder ins Gleichgewicht.
    Niemand in unseren Familien hat den Anschlag bis heute völlig verarbeitet und könnte sagen, dass alles nur noch eine verblassende Erinnerung an eine Lebensepisode sei. Der Schock sitzt bei uns allen noch tief, die Bilder sind beim kleinsten Anlass
wieder da, als wäre es erst gestern geschehen. Auch Tinos Schwester Heike kommen in bestimmten Situationen plötzlich die Tränen, weil ihr das Erlebte immer noch so nahe geht. Ausgerechnet Tino, der im Mittelpunkt all unserer Sorgen stand, scheint die Ereignisse am besten bewältigt zu haben. Das System, das er für sich entwickelt hat, ist unschlagbar – aber leider nicht auf andere Menschen übertragbar.
    Eine weitere Erfahrung, die ich aus all dem Erlebten gezogen habe, ist, dass der Anschlag, der soviel Böses wollte, auf der anderen Seite so viel Gutes ausgelöst hat. Wir haben Hilfsbereitschaft, Anteilnahme und Kameradschaft erfahren und unsere Lebensinhalte sind durch den Widerstand der Ereignisse geprüft und verändert worden. Nicht nur bei uns. Meine Eltern, Tinos Eltern, Spieß Markus Eng, unsere behandelnden Ärzte, Heike, viele unserer Freunde und die Kameraden von den Feldjägern – alle nehmen ihr Leben heute intensiver wahr, verzetteln sich nicht in Belanglosigkeiten, sondern schauen auf das Wesentliche. Wir gehen sorgsamer mit unserer Zeit um und versuchen, unser Leben auszuschöpfen. Freunde, Familie – das alles hat einen viel größeren Wert bekommen und materielle

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