Wofuer wir kaempfen
Sehnsüchte sind bei vielen völlig in den Hintergrund getreten. Das Leben selbst ist das Kostbarste, was wir haben, es ist die Zeit die uns geschenkt worden ist, und die wir miteinander erleben dürfen.
Anerkennung statt Wegschauen
Ich weiß, dass es vielen Menschen, die Angehörige in Auslandseinsätzen hatten, so geht wie mir. Ich bin deshalb sicher, dass die Angehörigen von Kriegsopfern in Deutschland genauso in Gefahr sind, in ein Posttraumatisches Belastungssyndrom abzugleiten wie die Soldaten, die Kriegseinwirkungen direkt erlebt haben. Dass man offen über sein Schicksal reden kann,
sich nicht schämen muss, weil man nicht alles gleich verarbeiten kann, sondern Zeit und Aufmerksamkeit dafür braucht, das war für mich eine sehr hilfreiche Erfahrung.
Was die meisten Soldaten im Dienst, die Verletzten und ihre Familien schmerzt, ist die fehlende Anerkennung, für das, was sie leisten. Ein Beispiel dafür ist der Tod des Eisbären Knut, mit dem sich die Medien im März 2011 tagelang beschäftigten. Unser Freund Mario suchte damals in den Nachrichten vergeblich nach einer Meldung, die ihn wie Tausende Angehörige von Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz weit mehr beschäftigte als das Schicksal des Eisbären. In Nordafghanistan war ein deutscher Soldat bei einem Anschlag schwer verletzt worden. Der Vorfall ereignete sich neun Kilometer nordwestlich des regionalen Wiederaufbauteams in Kunduz, wie das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam mitteilte. Eine gemischte Patrouille der ISAF war »angesprengt« worden. Ein Bundeswehrsoldat wurde schwer verletzt. Mario kannte diesen Soldaten gut. Es war sein Kamerad. So hat auch unsere Geschichte damals begonnen, am Morgen des 14. November 2005. Damals stand mir unser Freund Mario zur Seite, als die Nachricht kam, dass es Tino erwischt hatte. Diesmal aber kam keine Zeile in den Nachrichten. Vielleicht weil ein toter Eisbär den Menschen näher am Herzen liegt als ein schwer verletzter Soldat der Bundeswehr, was viel aussagen würde über das, was unsere Gesellschaft wirklich beschäftigt.
Mario kann es bis heute nicht fassen: »Wie traurig ist das? Wie krank ist Deutschland? Wir geben Milliarden Euro aus für Afghanistan und unsere Soldaten sterben für die Verteidigung von Werten, die für unsere Gesellschaft weniger Gewicht zu haben scheinen als ein toter Eisbär. Kein Land der NATO geht so beschissen mit seinen Soldaten um wie Deutschland.« Und da müsse man sich nicht wundern, wenn die Kasernen leer bleiben werden, nach der Abschaffung der Wehrpflicht und
den Umbau der Bundeswehr zur Freiwilligenarmee. Mario war zwischen 1996 und 2000 insgesamt siebenmal als Feldjäger im Auslandseinsatz auf dem Balkan und in Afghanistan. Er ist verheiratet und hat vier Kinder. Ich glaube, er darf das so sagen.
Für Tino und Stefan und all jene Menschen, die durch eine Entscheidung des deutschen Bundestags fern der Heimat ihr Leben riskieren für unser Land, den Frieden und unsere Sicherheit, wäre es wichtig, dass ihr Einsatz nicht umsonst gewesen ist und mehr Beachtung findet. Die meisten Soldaten sehen es so wie Stefan Deuschl, der nach seinen Erlebnissen allen Grund hätte, gegen diesen Krieg zu sein: »Wenn man mich heute fragt angesichts meiner Lage, ob ich nicht gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan sein müsste, sage ich immer Folgendes: Wenn man heute abzieht aus Afghanistan, ohne dass die Afghanen selbst dauerhaft für ihren Frieden sorgen können, dann ist alles verloren und nichts gewonnen. Viele getötete Soldaten, viele Schwerstverwundete oder Soldaten, die hier mit ihrem Kriegstrauma fertig werden müssen, hätten umsonst gelitten. Dazu kommen Milliarden Euro, die wir buchstäblich in den Staub gesetzt hätten: Ziehen wir jetzt ab, dann ist alles verloren, was die ISAF zusammen mit der afghanischen Regierung in den vergangenen zehn Jahren aufgebaut hat. Wir würden die Afghanen zurück ins Mittelalter stoßen, zurück in die Arme religiöser Fundamentalisten, wir würden wieder Bilder sehen von Steinigungen, abgeschnittenen Nasen, Auspeitschungen, Terrorcamps. All jene, die jetzt rufen, wir müssen raus aus Afghanistan, werden dann wieder sagen: Wir müssen rein nach Afghanistan und militärisch eingreifen, weil die Menschenrechte missachtet werden. So, wie es im April 2011 in Libyen gefordert wurde. Wenn das so ist, sage ich: Bleiben wir dort und bringen den Auftrag zu Ende. Dann waren unsere Opfer wenigstens nicht umsonst. Denn
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