Wofuer wir kaempfen
Meter entfernt ist.
Im Lazarett wird Tino sofort in die mit Ultraschall- und Röntgendiagnostik ausgerüsteten Schockräume gebracht. Die medizinische Notfallversorgung beginnt. Im Schockraum wird eine Computertomografie erstellt, die den Ärzten in wenigen Minuten einen kompletten Überblick über das Ausmaß der inneren Verletzungen ermöglicht. Dort kommt Tino langsam aus seinem Schockzustand zu sich und spürt, wie die Schwere seiner Verletzungen die Macht in seinem Körper übernimmt: »Das Adrenalin, das mich die ganze Zeit hochgepeitscht hat, lässt langsam nach, ich spüre ein schmerzendes Pulsieren in meinen Beinen. Minuten später liege ich auf dem OP-Tisch im Sanitätszelt der Amerikaner, grelles Licht und konzentrierte Gesichter amerikanischer Ärzte. So kurze Zeit nach der Explosion in einem Krankenhaus! Das kann man nur als Glück bezeichnen.
Ich kann nur schlecht Englisch. Sie schneiden mir die zerfetzte Uniform vom Leib. Ich gerate in Panik. Ich sage ihnen, dass ich zwei geladene Waffen am Körper trage, die HK-P8 im Holster am Bein und die kleinere P7 unter der Splitterweste. Ich radebreche, dass ich einen Dolmetscher brauche und dass sie Camp Warehouse informieren sollen. Ich frage nach Stefan und Franz. Die Ärzte interessiert das scheinbar alles nicht. Sie legen Infusionen, ich bekomme Spritzen. Sie arbeiten schnell und konzentriert, geben kurze Anweisungen an die Schwestern.
In ihren Mienen lese ich, dass sie besorgt sind – es scheint nicht gut um mich zu stehen. Mein Körper beginnt zu zittern, ich beginne auszukühlen. Schüttelfrost. Ich frage noch, was jetzt passiert, und bekomme Angst. Ich merke, dass ich schwächer werde. Eine Schwester hält beruhigend meine Hand. Ich habe kein Zeitgefühl. Plötzlich steht ein deutscher Sanitätsoffizier im OP und spricht mit dem amerikanischen Kollegen. Er klopft mir ermutigend auf die Schulter, lächelt mich an und sagt: ›Soldat, alles wird gut.‹ Das ist das Letzte, an das ich mich erinnern kann – der Blutverlust und die Medikamente haben endgültig den Widerstand meines Körpers gebrochen. Jetzt, wo ich versorgt bin und mich sicher fühlen kann, lasse ich los und falle in einen tiefen, endlosen Schacht hinein in die Dunkelheit. «
Schlechte Nachrichten erreichen Deutschland
Wenn ich früher von Schicksalsschlägen anderer Menschen gehört habe, habe ich mich oft gefragt, was die Leidtragenden fühlen, wenn sie erfahren, dass sie betroffen sind. Als Tino ins Koma fällt, ist es bei uns in Bayern etwa 11 Uhr 30. Ich hatte keine Vorahnung gehabt, dass etwas passiert sein könnte, keine Unruhe gespürt. Nichts. Heute weiß ich, Katastrophen beginnen ganz klein und unscheinbar.
Vor allem die schlechten Nachrichten scheinen sich wie mit Lichtgeschwindigkeit über Kabel, Satelliten und das Internet zu verbreiten. Noch während sich die Sanitäter über Tino beugen und sein Leben zu retten versuchen, erscheinen wenige Minuten nach dem Anschlag schon die ersten Eilmeldungen auf den Redaktionsmonitoren und finden ihren Weg in die deutschen Radionachrichten:
»Ein deutscher Soldat der Internationalen Schutztruppe in Afghanistan (ISAF) ist in Kabul bei einem Selbstmordanschlag getötet worden. Der Anschlag sei im Osten der afghanischen Stadt verübt worden, sagte Jusuf Stanisai, ein Sprecher des afghanischen Innenministeriums. Der Selbstmordattentäter habe mit seinem mit Sprengstoff beladenen Toyota ein ISAF-Fahrzeug mit Bundeswehrsoldaten gerammt. Zwei weitere Soldaten sowie drei Zivilisten seien verletzt worden.«
Ich stelle keine Verbindung zwischen Tino und dem Anschlag her, komme zunächst gar nicht auf den Gedanken, dass er eines der Opfer sein könnte. Wir sind so voller Vertrauen in unsere Unversehrtheit, dass wir die ersten Signale meist übersehen. Also arbeite ich einfach weiter, werde aber von Minute zu Minute unruhiger. Schließlich wähle ich doch die Nummer von Tinos Kaserne in Murnau. Der Wachhabende sagt nur: »Nein,
nichts bekannt, gib uns mal deine Handynummer. Falls etwas sein sollte, melden wir uns.«
Viele Angehörige in Deutschland von Soldaten im Einsatz in Afghanistan telefonieren jetzt so wie ich mit den Kasernen und versuchen, Genaueres herauszufinden. Wir spüren, dass sich etwas auf uns zubewegt, etwas, was wir noch nie zuvor so deutlich gespürt haben: Angst.
Die Kommandeure im deutschen Hauptquartier Camp Warehouse und im Einsatzführungszentrum in Potsdam versuchen unterdessen fieberhaft, sich einen Überblick zu
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