Wogen der Liebe
ihm. Sie senkte den Blick und versteckte ihre unruhigen Hände in den Falten ihres Gewandes.
»Thoralf, du großer Held, ich stehe vor dir in Demut und in großer Scham. Verzeihst du einer schwachen Frau, dass sie sich zum Spielball böser Mächte machen ließ? Ich schwöre, dass ich den Überfall auf Skollhaugen niemals gutgeheißen habe. Ich bereue, nicht mehr gegen das Unrecht getan zu haben. Verzeihst du mir und vergibst du mir? Ich habe immer nur dich geliebt und werde mit Freuden deine Frau. Nichts hält mich hier auf Bleytagarðr, und Grondalr bringe ich dir gern als Brautgabe.«
Sie hob die Lider und schaute ihn an, bittend, lauernd, unstet.
Dalla kreischte laut. »Diese giftige Natter, diese verlogene Krähe! Sie hat uns als Sklaven gehalten, uns schlecht behandelt, geschlagen, gedemütigt. Dabei waren wir mal Freundinnen. Ich mag gar nicht daran denken. Allen hat sie was vorgemacht, uns getäuscht. Sie soll für alle Ewigkeit im Moor verrotten.«
Thoralf sog scharf die Luft durch die Nase ein. »Halt den Mund«, fuhr er seine Schwester an. Dann wandte er sich an Gunnardviga.
»Erwartest du das wirklich von mir?«
Sie nickte.
»Höre, Gunnardviga Eiriksdotter! Ich glaube dir, dass du den Überfall weder geplant noch durchgeführt hast. Vielleicht hast du ihn auch nicht gutgeheißen. Ich glaube auch, dass du es nun bereust, jetzt, wo ich meinen Besitz wieder erkämpft habe. Aber ich glaube dir nicht, dass du dich in deinem Wesen geändert hast. Du bist stolz, hartherzig und gierig. Du hast nur danach getrachtet, den reichsten Mann zu bekommen. Ich verzeihe dir und ich vergebe dir, aber eines werde ich nicht tun: dich zur Frau nehmen. Der Platz an meiner Seite gebührt einer anderen, einer, die weiß, was Liebe ist.«
Er bemerkte, wie sie zusammenzuckte. »Leider ist die Schwester der Erwartung die Enttäuschung. Du wirst Hoskuld heiraten. Ich wünsche dir, dass du glücklich mit ihm wirst.«
»Das werde ich bestimmt nicht«, rief Gunnardviga verzweifelt. »Ich liebe ihn nicht!«
»Mich hast du auch nicht geliebt, nur meinen Reichtum. Lass es gut sein, Gunnardviga, mein Entschluss steht schon lange fest. Grondalr soll dir bleiben, du hast es gut bewirtschaftet. Und in Jarl Ragnvald hast du einen Beschützer, falls … falls dich dein Mann nicht überzeugt.«
Sie errötete, als die anderen lachten. Aber sie wusste auch, dass sie verloren hatte. Zumindest hatte Thoralf sich so verhalten, dass sie nicht ihr Gesicht verlor. Dass sie mit Hoskuld nun den Rest ihres Lebens verbringen musste, war die Strafe für ihre Gier.
Plötzlich wurde die Tür eines der Vorratshäuser aufgestoßen. Asgeir rannte, die Arme voller Schätze, zwischen den verblüfften Menschen hindurch geradewegs zum Tor hinaus. Er verlor einen silbernen Kelch, der über den Hof kullerte, doch er kümmerte sich nicht darum. Ketten, Waffen, Pelze, Schmuck, Walrosszähne, Lederrüstung, alles schleppte er mit sich. »Das ist meins, das ist meins«, schrie er. Trotz seiner Last konnte er unglaublich schnell rennen.
»Verfolgt ihn, bringt ihn zurück«, befahl Ragnvald. Im Nu liefen einige seiner Männer Asgeir nach. Ein grausiger Aufschrei ließ alle erstarren. Wenig später kamen die Männer zurück. Ohne Asgeir.
»Er ist in den Sumpf gelaufen«, berichteten sie, »und mit all den Schätzen untergegangen.«
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Hochzeit auf Skollhaugen
D as Jahr wurde wiedergeboren. Die Sonne stieg höher am Firmament, sammelte Kraft, die sie mit ihren Strahlen zur Erde sandte. Der letzte Schnee schmolz, es duftete nach Erde, Moos und frischem Grün. Auf den Wiesen blühten Blumen, die Herden suchten nach jungem Gras, und Vögel sammelten eifrig Futter für ihre Brut. Das Leben erneuerte sich überall nach dem langen und schreckensreichen Winter. Auch auf Skollhaugen schöpften die Menschen wieder Hoffnung. Diese Hoffnung gab ihnen nicht nur die erwachende Natur, sondern auch Thoralf, der Skollhaugen wieder aufbauen ließ. Es war viel Arbeit notwendig, doch jeder Tag brachte einen neuen Fortschritt.
Als die ersten Lämmer geboren wurden, gab es viel Jubel. Raudaborsti konnte sich nicht sattsehen an den lebhaften Jungtieren bei Schafen und Ziegen. Auch einige Kühe waren tragend. Oleif hatte wilde Tauben gefangen, die Halveig und Dalla zähmten. Hühner liefen wieder über den Hof, und auch zwei junge Hunde bekamen sie von einem Bauernhof geschenkt. Arnulf hütete die Schweine im Wald, wo sie sich selbst ihr Futter suchten. Noch war Getreide knapp,
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