Wogen der Liebe
Selbstbewusstsein. Nichts hatte ihren Rücken beugen können, obwohl ihr Haar weiß und ihre Falten sehr tief geworden waren.
Mit einem Kopfnicken grüßte Thoralf zuerst Ragnvald, dann die anwesenden Jarls. Er hörte an dem Raunen ringsum, was sie von dem ungleichen Aufzug hielten und was sie glaubten, wem wohl der Sieg zufallen würde.
In Ragnvalds Gefolge entdeckte Thoralf Gunnardviga. Für einen Moment kreuzten sich ihre Blicke. Sie warf den Kopf in den Nacken, dann ließ sie sich aus der Sänfte helfen. Frauen mussten in den hinteren Reihen stehen. Die besseren Plätze standen den Männern zu.
Am liebsten wäre Viviane auf Skollhaugen geblieben, aber das wäre einer Missachtung der Kämpfer gleichgekommen. Außerdem hätte sie es sicher gar nicht ausgehalten, so im Ungewissen zu bleiben. Raudaborsti hatte ihre Hand gefasst und drückte sie. Viviane fand diese Geste rührend und hielt die kleine Hand fest in ihrer.
Thoralf stieg vom Pferd und betrat als Erster den Ring. Er trug nur einen aus Leder gefertigen Brustpanzer über seinem Hemd. Seine Füße steckten in weichen Lederstiefeln, dazu trug er gebundene Hosen aus Wollstoff. Er hatte auf einen Helm verzichtet, nichts schützte sein Gesicht.
Nun betrat auch Hoskuld den Kampfplatz. In seiner Rüstung konnte er sich kaum bewegen. Durch die Schlitze seines Helms fixierte er Thoralf. Leichtsinnig fand er ihn, überheblich. Seine Schutzlosigkeit sollte wohl Todesmut beweisen.
Hoskuld schritt mit hoch erhobenem Schwert um den gesamten Platz herum und ließ sich von den Zuschauern bewundern. Es blinkte und blitzte von seiner Rüstung, zumal die Sonne hinter den Wolken hervortrat und die ganze Umgebung in ein freundliches gelbes Licht tauchte.
An den Astspitzen der alten Eiche, die sich auf dem Thingplatz erhob, schoben sich grüne Blattspitzen aus den dicken Knospen hervor und drängten dem Licht entgegen.
Der Baum! Viviane erstarrte. Die Norne hatte von einem Baum gesprochen. Ihr Blick fiel auf den Holzhaufen, der in einiger Entfernung vom Baum aufgeschichtet worden war. Wenn sich die Dämmerung herabsenkte, würde er angezündet werden. Das war auch das Zeichen für den Beginn des Kampfes. Flammen! Die Flammen des Feuers. Aber grün?
Viviane begann vor Aufregung zu zittern. Astrid stellte sich neben sie. Unmerklich, aus den Falten ihres Kleides heraus, griff sie nach Vivianes freier Hand. Mit der anderen hielt Viviane immer noch Raudaborsti fest, oder besser, Raudaborsti hielt Viviane. Auch die Kleine war aufgeregt, hüpfte ständig hin und her, während Astrid unbewegt dastand. Viviane ahnte, wie sich Astrid fühlte, doch sie konnte ihr im Augenblick keinen Trost spenden.
Thoralf wartete, bis Hoskuld seine Runde beendet hatte, dann trat er vor ihn. »Hoskuld Ragnvaldsson, ich fordere dich zum Zweikampf. Du hast Skollhaugen überfallen, beraubt und niedergebrannt. Du hast meinen Vater getötet und meine versprochene Braut genommen. Du hast Verrat geübt und die Ehre meiner Sippe beschmutzt. Ich, Sohn des Jarls Björgolf, fordere dich auf zu kämpfen. Wir werden kämpfen auf Leben und Tod. Die Götter sollen entscheiden, wer der Sieger ist. Entscheiden sie zu deinen Gunsten, Hoskuld, so soll der Überfall ungesühnt bleiben, alles Gut, das du geraubt hast, dir gehören und die Mitglieder meiner Familie als Freie unter deine Obhut gelangen. Meine Männer sollen dir als Freie dienen und dir Gehorsam schwören.«
»So soll es sein«, riefen die Zuschauer. Nur Dalla schluchzte laut auf. Der Gedanke, wieder unter Gunnardvigas Fuchtel zu geraten, war ihr unerträglich.
»Wenn die Götter aber zu meinen Gunsten entscheiden, so gehört mir alles, was deiner Sippe gehört, geraubtes Gut sowie rechtmäßiges Gut, alles Vieh, alle Schätze, die Abgaben aus deinen Ländereien, alle Männer und Frauen, das Gesinde bis zum letzten Sklaven, alle Vorräte und die Burg Bleytagarðr.«
»So soll es sein«, wiederholten die Umstehenden.
Ragnvald schluckte schwer und presste die Lippen zusammen. Das wäre das Ende von Bleytagarðr und seiner Sippe. Doch noch war es nicht so weit, und er hatte Hoskuld in den letzten zehn Tagen von einem alten Kämpfer immer wieder in allen Finten des Schwertkampfes unterrichten lassen. Seine Chancen standen gut. Zudem besaß er eine ausgezeichnete Rüstung, die jedem Schwerthieb standhalten würde.
Zwei Jarls erhoben sich. Der eine hielt einen schwarzen Hahn in der Hand, der andere eine brennende Fackel. Gemessen schritten sie zum
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