Wogen der Liebe
wir dann hin und essen sie.«
Viviane blickte Raudaborsti forschend an. »Hast du das schon einmal gemacht?«
Raudaborsti schüttelte den Kopf. »Nicht einmal – mehrmals.« Sie grinste über ihr klebriges Gesicht. Zielsicher stapfte sie voran, zwischen den Bäumen hindurch. Viviane musste ihr zwangsläufig folgen, wollte sie nicht allein zurückbleiben. Sie hätte nicht einmal nach Skollhaugen zurückgefunden.
Viviane versuchte, sich bestimmte markante Stellen im Wald zu merken, während sie hinter Raudaborsti herstolperte. Da war ein Baum, dessen Stamm sich geteilt hatte, dort eine abgebrochene Tanne, an einer lichten Stelle Morast und gelbes Gras mit vielen Moosbeeren, dann wieder ein schmaler Bach mit kühlem, klarem Wasser. Und doch hätte sie niemals zurückgefunden. Wenn sie sich umwandte, sah der Wald ganz anders aus.
Sie gingen lange, und der Weg war weit, viel weiter, als Viviane vermutet hatte. Es gab gar keinen Weg. Sie musste auf Raudaborstis Ortskenntnis vertrauen. Was aber, wenn Raudaborsti sich verirrte? Sie mochte nicht daran denken. Wahrscheinlich wäre sie vor Angst gestorben.
Ohnehin verspürte Viviane eine seltsame Traurigkeit in ihrem Herzen. Thoralf war fort. Wenige Tage nach ihrem Gespräch vor dem Tor von Skollhaugen hatte er mit seinen Männern das Schiff bestiegen, die Segel gehisst und war aus dem Fjord hinausgefahren. Zuvor hatten sie Odin und Thor geopfert, irgendwo in einem Moor, wo sie den goldenen Hammer versenkten, den der Schmied und Oleif aus dem eingeschmolzenen Kreuz gegossen hatten. Oleif hatte ihn kunstvoll verziert. Viviane hatte es so einrichten können, dass sie sich hinter einem Felsen versteckte, als die Bewohner des Gutshofes in einer langen Prozession zur Opferstelle zogen. Panik hatte Viviane erfasst, und sie hatte an die blutigen Opferungen gedacht, als sie auf Skollhaugen ankamen. Sie fand es einfach widerlich. Kein Wunder, dass die christlichen Priester immer wieder gegen diesen heidnischen Zauber wetterten und predigten.
Nur wenige Wachen blieben auf dem Hof zurück, alle, vom Fürstenpaar über die Familie bis hin zu den Mägden und Knechten, zogen hinaus. Auch Raudaborsti war mit dabei und hatte Viviane zuvor aufgeregt von dem mystischen Zauber erzählt, der dieser Opferung anhaftete. Mit Grausen dachte Viviane an das blubbernde Moor. Es gab auch eines auf ihrer Insel, das von allen Bewohnern gemieden wurde. Die Mönche des Klosters erzählten, dass man früher dort auch diese heidnischen Riten zelebriert hatte, ja, man habe sogar Menschen im Moor versenkt. Als die Mönche aber das Kreuz und das Christentum auf die Insel gebracht hatten, hörte dieser Zauber auf.
Viviane wollte Raudaborsti fragen, ob bei der Opferung auch Menschen im Moor versenkt würden, aber sie wagte es nicht. Sie zog es vor, sich der Prozession anzuschließen, da außer der Wache niemand auf dem Hof zurückbleiben durfte, und bei passender Gelegenheit zu verschwinden. Der Plan gelang. Sie ließ sich zurückfallen, lüpfte den Rock, als hätte sie ein dringendes Bedürfnis, und hockte sich hinter einen Felsvorsprung. Nur Raudaborsti bemerkte Vivianes Fehlen, doch sie lief weiter, wohl wissend, weshalb Viviane verschwunden war.
»Ich habe dich bei Thor und Odin entschuldigt«, sagte sie nach ihrer Rückkehr. »Odin wird es verstehen, denn seine Raben haben ihm sicher gesagt, dass es dir nicht recht war. Du brauchst noch etwas Zeit, um dich an die neuen Götter zu gewöhnen«, meinte sie zuversichtlich.
Viviane mochte Raudaborsti, die so offen und ehrlich und herzlich und hilfsbereit war. Mit dieser Opferung wurde Thoralf verabschiedet und die Götter für die neue Fahrt günstig gestimmt.
Viviane sah Thoralf plötzlich mit anderen Augen. Sie verspürte jedes Mal ein zartes Ziehen im Bauch, wenn sie an ihn dachte. Vielleicht war er doch nicht der grausame Räuber und Mörder, vielleicht musste er nur das ausführen, was die Sippe von ihm verlangte. Und Gunnardviga! Sie war wohl die treibende Kraft hinter Thoralfs Raubzügen. Und er tat alles, um die schöne Gunnardviga für sich zu gewinnen.
Dieses Gefühl, das sie beide zueinander hingezogen hatte, hielt Viviane inzwischen für einen Irrtum, eine körperliche Verwirrung, gegen die sie ankämpfen musste. Niemand konnte ihr dabei helfen, sie konnte weder beichten noch Gottes Beistand erbitten. Vielleicht halfen ja die Götter der Wikinger. Ihr mysteriöses Erlebnis am See der Frigg und die Spule mit dem grünen Faden hatten sie
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