Wogen der Liebe
zweite Seite, eine milde, sanfte, verständnisvolle. Es kribbelte wieder in ihrem Bauch.
Ungeduldig wartete sie, bis sich die Männer trennten. Sven ging wieder hinauf zum Wald, während Asgeir seinen Entenköder unter den Kittel schob. Er wartete, bis Sven verschwunden war, dann ging er langsam zum Hof zurück.
Wie vom Teufel verfolgt, rannte Viviane zum Apfelwald. Raudaborsti hatte fleißig gepflückt. Beide Körbe waren bis zum Rand gefüllt.
»Da haben wir was zum Schleppen«, grinste sie. Ihre blauen Augen leuchteten. »Der Rückweg wird lange dauern.« Dann sah sie, wie blass Viviane war. »Ist dir nicht gut? Du siehst so seltsam aus.« Raudaborsti neigte den Kopf und schaute Viviane prüfend an.
»Skollhaugen ist in Gefahr! Wir können uns nicht mit den Äpfeln aufhalten«, keuchte Viviane.
Raudaborsti lächelte ungläubig. »Was ist denn mit dir los? Hat dir Loki die Gedanken verwirrt?«
Viviane sah die Körbe an. »Sag mal, müssen wir wirklich alle Äpfel mitnehmen? Wer soll die denn alle essen?«
Raudaborsti blickte sie erstaunt an. »Na, wir.«
Viviane ergab sich in ihr Schicksal. Doch was sie gehört hatte, versetzte sie in große Unruhe.
»Ich habe ein Gespräch belauscht, unten am Weiher, zwischen Asgeir und Sven.«
»Die beiden waren hier? Warum hast du mich nicht gewarnt?«
»Dann hätten sie uns entdeckt. Sie hatten auch etwas ganz anderes vor. Ich glaube, sie wollen Thoralfs Schätze stehlen.«
Skeptisch runzelte Raudaborsti die Brauen. »Skollhaugen ist befestigt und hat viele Männer. Niemand wagt es, den Hof anzugreifen. Außerdem würde keine Wikingersippe eine andere Wikingersippe überfallen. Das ist gegen die Ehre.«
»Wenn die Gier nach Gold größer ist als das Ehrgefühl, dann ist das eben doch möglich. Außerdem will Hoskuld Gunnardviga zur Braut.«
Schlagartig blieb Raudaborsti stehen. »Das ist Unsinn! Gunnardviga ist Thoralfs Braut. Ragnvald weiß das. Er würde sich nie mit Björgolf verfeinden.«
Viviane presste die Lippen aufeinander. Es hatte keinen Sinn, mit Raudaborsti zu diskutieren. Sie hatte kein Einsehen und verstand Vivianes Befürchtungen nicht.
»Du hörst die Mücken husten«, stellte Raudaborsti fest. »Nun, komm schon, sonst wird es dunkel, ehe wir zu Hause sind. Ich möchte nicht die Nacht hier verbringen. Im Wald hausen …«
»… Elfen und Trolle, ich weiß. Ich möchte auch nach Skollhaugen. Ganz schnell.«
So schnell ging es aber doch nicht. Die Apfelkörbe waren schwer, und die beiden hatten zu schleppen. Zudem war der Wald unwegsam, sie stolperten und ächzten.
»Wo sind eigentlich die Beeren, die wir gepflückt haben?«, wollte Viviane wissen.
Raudaborsti klopfte sich auf den Bauch. »Hier drin. Sie wären sonst von den Äpfeln zerdrückt worden.«
»Und was sagen wir Truud, wenn wir ohne Beeren zurückkommen?«
»Dass es keine gab.«
»Dann musst du zuvor dein Gesicht waschen. Da klebt der Saft aller Beeren.«
Viviane war erleichtert, als sie den Waldrand erreichten und Skollhaugen erblickten. Doch Raudaborsti änderte die Richtung, hinüber zu den Felsen.
»Wo willst du hin?«
»Die Äpfel verstecken. Dort gibt es eine Höhle.«
Viviane verlangsamte ihre Schritte. »Eine Höhle? Ich mag keine Höhlen.«
»Da gibt’s keine Trolle. Ich zünde immer ein Licht über dem Eingang an.«
Die Höhle entpuppte sich als kleiner Felsvorsprung hinter einer hohen Tanne. Sie war auch nicht tief. Auf dem Boden lag getrocknetes Gras. Raudaborsti war offenbar schon öfter hier gewesen.
»Die Äpfel müssen auf dem Boden ausgelegt werden, sonst verfaulen sie«, ordnete Raudaborsti an. »Einer neben dem anderen.«
Viviane kippte ihren Korb aus. Dann verteilten sie die Äpfel in der Höhle.
»Jetzt muss ich noch einen essen«, meinte Raudaborsti. »Hier, koste mal.«
Skeptisch betrachtete Viviane die kleine grüne Frucht. Raudaborsti biss herzhaft hinein, weißer Saft spritzte heraus. »Hm, köstlicher als alle Beeren.«
Auch Viviane biss in einen Apfel und verzog das Gesicht. »Das soll schmecken? Das ist sauer und brennt auf der Zunge.« Sie schüttelte sich.
»Sind die überhaupt schon reif?«
»Nicht alle. Aber sie reifen, wenn man sie in eine kühle Höhle legt.«
»Wir müssen Björgolf mitteilen, was ich belauscht habe.«
Raudaborsti hielt im Kauen inne. »Lass es lieber bleiben, er wird dir nicht glauben. Es sei denn, du weißt, wann und wie der Überfall erfolgen soll. Hast du davon etwas gehört?«
»Nein, so genau nun
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