Wogen der Liebe
schließlich überzeugt, dass sie es sich mit Thor und seinen göttlichen Raufbolden nicht ganz verscherzen durfte.
Plötzlich siegte in Viviane die Neugier zu erfahren, wie Gunnardviga lebte. So folgte sie Raudaborsti, inzwischen ziemlich außer Atem.
»Ist es noch weit?«, wollte sie wissen.
»Weiß ich nicht«, gab Raudaborsti zurück. »Ich denke, wir sind bald da.«
Es dauerte doch noch einige Zeit, in der sie sich durch dichten Tann, eine weite Senke, die von mehreren Bächen durchflossen wurde, über eine große Bergwiese und einen felsigen Gipfel schlugen.
»Da unten liegt Grondalr.« Raudaborsti blieb stehen und zeigte mit der Hand ins Tal hinab. Es war wirklich ein grünes Tal, mit jungen Tannen bestanden, die das Anwesen umschlossen. Ähnlich wie auf Skollhaugen war der Hof von einem Palisadenzaun umgeben. Der Hof war kleiner als Skollhaugen, besaß keinen Zugang zum Meer, dafür gab es einen Fluss, der aus den Bergen hervorbrach und die vielen Felder um den Hof bewässerte. Es gab Weideflächen, auf denen prächtige Rinder standen, auch einige dieser kleinwüchsigen Pferde entdeckte Viviane. Und etwas abseits, am Südhang des Berges, befand sich der Apfelwald. Es war kein Wald, wie ihn Viviane fürchtete, sondern licht und überschaubar. Die Apfelbäume waren klein, standen weit auseinander, darunter wuchs Gras. Daneben gab es einen kleinen Weiher, umstanden von Schilf.
»Manchmal sitzt dort ein Junge, der Gänse hütet. Er passt auch auf die Apfelbäume auf. Siehst du die Äpfel? Man kann sie bald ernten. Ich denke, sie sind noch etwas sauer, aber später lässt Gunnardviga sie pflücken, dann können wir keine mehr holen.«
Obwohl Viviane Bedenken hatte, nickte sie.
»Gut, dann gehst du zum Weiher und passt auf, dass mich niemand entdeckt. Inzwischen pflücke ich die Äpfel. Wenn jemand kommt, dann bläst du auf einem Grashalm wie eine Ente. Kennst du das?«
»Ja, das kenne ich. So haben wir auch Enten angelockt.«
»Also, dann pass gut auf.« Geduckt schlich Raudaborsti zum Apfelwald, während Viviane sich vorsichtig zum Weiher begab. Bislang hatte sie niemanden entdeckt, es gab keinen Jungen und auch keine Gänse. Es war still, nur der Wind raschelte in dem trockenen Ried.
Viviane pirschte sich durchs Schilf und entdeckte eine Stelle am Ufer des Weihers, von der aus sie das Tal überblicken konnte, ohne selbst gesehen zu werden.
Sie hockte sich hin, den Grashalm für den Notfall zwischen den Fingern. Sie fühlte sich unwohl dabei, einen Diebstahl zu decken. Auch wenn es Raudaborsti war. Lieber wollte sie Raudaborsti zur Ehrlichkeit bewegen. Und nun hockte sie hier.
Ihr Atem stockte, als sie eine Gestalt über die Wiese zum Weiher kommen sah. Schon von weitem erkannte sie, um wen es sich handelte. Der Buckel, die verzogenen Schultern, die langen Arme, die ungelenk am Körper schlenkerten – es war Asgeir, Gunnardvigas Bruder. Hatte er sie entdeckt?
Doch Asgeir schien es nicht eilig zu haben. Gemächlich schlenderte er heran, zog eine Schnur unter dem Kittel hervor und befestigte Köder daran. Offensichtlich wollte er Enten damit fangen.
Viviane konnte jedoch keine Enten entdecken. Weder im Schilf noch im Wasser hielten sich welche auf. War Asgeir blind? Fieberhaft überlegte sie, ob sie Raudaborsti warnen sollte. Wenn Asgeir nur noch ein Stück weiterging, könnte er sie entdecken. Doch wenn sie jetzt auf dem Grashalm blies, dachte Asgeir womöglich, er hätte einen Erpel an der Angel. Was sollte sie bloß tun?
Viviane verhielt sich ganz still, wagte kaum zu atmen. Sie konnte nur hoffen, dass Asgeir bald wieder verschwand, wenn er merkte, dass keine Enten da waren.
Durch die Halme der Binsen konnte sie ihn sehen, er war ihr ziemlich nahe. Sie presste die Hände zusammen und schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Asgeir wandte sich um. Jemand kam vom Waldrand herunter. Insgeheim atmete Viviane auf, es war nicht Raudaborsti. Es war ein Mann. Als er näher kam, erkannte sie auch ihn. Sven, der ständige Begleiter von Hoskuld.
Er war allein. Viviane wunderte sich. Nach Raudaborstis Erzählungen befand sich Bleytagarðr, der Hof des Jarls Ragnvald, beinahe zwei Tagesritte von Skollhaugen entfernt. Das Wikingerland musste ein großes Land sein, wenn die Gehöfte Tagesritte weit voneinander entfernt lagen.
Sven näherte sich im Bogen dem Weiher, blickte sich mehrmals prüfend um und hockte sich dann neben Asgeir.
»Hat dich jemand gesehen?«, wollte Asgeir wissen.
Sven schüttelte den
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