Wogen der Sehnsucht
wartete, und als er den Kopf hob, lag ein schiefes, herzzerreißendes Lächeln auf seinen Lippen.
„Es tut mir leid“, sagte er und ging.
Tristan sah nicht zurück, drehte sich nicht um, als das Auto losfuhr. Weil er Dimitri sonst vielleicht gebeten hätte anzuhalten und ausgestiegen und zu ihr zurück gelaufen wäre. Er stellte sich vor, wie er sie in die Arme nehmen und so lange küssen würde, bis sie verstand, was er nicht mit Worten ausdrücken konnte.
Nein, es war nicht so, dass ihm die Worte fehlten. Er wusste genau, was er sagen wollte. Aber der Romero-Fluch des Pflichtgefühls und der Ehre machten es ihm unmöglich, sie auszusprechen, weil er wusste, dass es selbstsüchtig von ihm wäre, Lily Alexander zu sagen, dass er sie liebte. Was konnte er ihr schon bieten? Schmutzigen Reichtum und ein beschädigtes Herz, das keine menschliche Wärme besaß. Nichts, was sie wollte oder brauchte. Er dachte daran, was Tom vor all diesen Monaten in Stowell gesagt hatte. Dass sie jemanden verdiente, der nett und verlässlich war. Jemanden, der ihr helfen konnte, ihren Traum zu verwirklichen, Mutter zu werden, und nicht jemanden, der diesem Traum im Weg stand.
Als sie die breite Hauptstraße um den Regent’s Park erreichten, wandte er sich Dimitri zu.
„Wie schlimm ist es?“
Hinter seiner Sonnenbrille war Dimitris Gesicht grau. „Ein Erdbeben der Stärke sechs Komma acht auf der Richterskala. Das Epizentrum lag dreißig Kilometer nördlich des Dorfes.“
Tristans Gedanken rasten. Unter sieben auf der Richterskala. Das war ermutigend.
„Was ist mit der Krankenstation?“
„Beschädigt, aber sie steht noch.“
Tristan nickte knapp. Er hatte dafür gesorgt, dass die Station nach den neuesten Erdbebenrichtlinien gebaut wurde. Anders als die meisten anderen Gebäude im Dorf.
„Was ist mit Irina?“
„Ich weiß es nicht …“ Dimitris Stimme brach. „Das Haus ist eingestürzt. Sie haben sie noch nicht gefunden.“
„Und die Zwillinge?“ Irinas Kinder, Andrei und Emilia, waren inzwischen fünf Monate alt.
Dimitri zuckte hilflos mit den Schultern. „Wir müssen hoffen.“
„Ja. Es gibt immer Hoffnung“, log Tristan.
Der schöne Vormittag war zu einem diesigen Nachmittag geworden, und der Wind blies jetzt heftiger über die Wiese im Garten.
Lily war kalt. So kalt, dass sie sich nicht erinnern konnte, wie es sich anfühlte, wenn einem warm war. Seit Tristan gegangen war, lief sie im Haus herum, stundenlang schon, ordnete Sachen und räumte auf, fast so, als habe sie vor zu verreisen. Als sie sich einen Pullover von oben holen wollte, sah sie das elfenbeinfarbene Seidenkleid, das Tristan ihr gekauft hatte, im Schrank hängen, und endlich ließ sie die Tränen zu, die ihr schon die ganze Zeit in den Augen brannten.
Es war vorbei. Der letzte feine Seidenfaden, der sie mit Tristan verbunden hatte, war gerissen, und er war fort, hatte sie in den Scherben ihres Lebens zurückgelassen. Alles, was sie wollte, all die Träume, die sie sich so lange in ihrem Kopf ausgemalt hatte, waren in dem Moment, in dem sie nach ihnen greifen wollte, zu Staub zerfallen.
Sie hatte Miss Squire am Telefon gesagt, dass es ihr ganz egal war, woher das Kind, das sie adoptieren wollte, stammte oder welche Probleme es mitbrachte, weil sie der Überzeugung gewesen war, dass es nichts gab, was man mit Liebe nicht überwinden konnte.
Aber da hatte sie sich getäuscht.
Sie hatte Tristan geliebt und ihn dennoch nicht erreichen können. Es war ihr nie gelungen, durch die Schale aus Pflichtbewusstsein und Schuld zu dringen und das verletzte Herz darunter zu berühren. Stattdessen war sie nur eine weitere Person geworden, für die er sich verantwortlich fühlte.
Pflichterfüllung, keine Liebe. Das war es, was ihn an sie gebunden hatte. Er hatte ihr gesagt, dass er nicht lieben konnte, dass er nichts empfinden konnte, aber sie hatte das nicht wahrhaben wollen.
Sie hatte ihn heilen wollen.
Ungeduldig wischte Lily sich mit dem Ärmel über die nassen Wangen. Wie furchtbar arrogant und gleichzeitig naiv das von ihr gewesen war. Und dabei hatte sie nicht einmal versucht, herauszufinden, was ihn zu diesem harten, gefühllosen Mann werden ließ.
Was für einen Unterschied hätte es denn gemacht, wenn du es gewusst hättest?, fragte sie sich verbittert. Tristan liebte sie nicht. Und nichts konnte das ändern.
Das Haus kam Lily mit einem Mal schrecklich still vor, deshalb ging sie ins Wohnzimmer hinüber, ließ sich in die weiche Umarmung
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