Wohin die Liebe führt
abgeschnitten heute. Ich bekam fünf unsittliche Anträge - einen sogar von einer Frau! Da draußen will das was heißen. Sie muß mich für wirklich pervers gehalten haben.«
»Haben Sie seine Eltern benachrichtigt?«
Red nickte. »Sie werden morgen hier sein.« Er zuckte die Achseln.
»Ja, so ist das Leben. Die Jungens wollen partout Mädchen sein.«
»Der arme Junge.« Das war einer von den Fällen, die niemand gern übernahm. Man fühlte sich dabei so völlig nutzlos. Man konnte nichts wirklich Positives tun. Das einzige war, so einen Jungen den Psychiatern zu übergeben. Und oft genug war auch das zwecklos, denn selbst die konnten nicht helfen.
»Und Sie, emsiges Bienchen? An welchem Fall arbeiten Sie? An der Hayden-Geschichte?«
»Das Mädchen heißt Carey.«
»Weiß ich. Aber alle Zeitungen nennen es den Fall Hayden. Nach der Mutter, die ja das Augäpfelchen unserer Stadt ist.« Er nahm wieder geräuschvoll einen Schluck Kaffee. »Wie steht’s mit der Kleinen?«
Marian sah ihn nachdenklich an. »Ich weiß nicht recht. Es ist mir noch nicht gelungen, sie einigermaßen zu durchschauen. Sie paßt so gar nicht zu dem, was ich bei den meisten anderen Kindern hier kennengelernt habe.«
Er zog fragend eine Augenbraue hoch. »Sie macht sogar Ihnen zu schaffen, meinen Sie? Haben Sie schon die ersten Befunde?«
Sie nickte.
»Lassen Sie mich sehen.«
Sie beobachtete ihn, als er die oberste Seite las. Es war der Bericht des Arztes, der Dani untersucht hatte. Jedes Mädchen, das hier eingeliefert wurde, kam zunächst zu einer ärztlichen Untersuchung, ehe ihr ein Zimmer zugewiesen wurde. Dani war bereits am Samstag beim Arzt gewesen, während die psychometrische Bewertung erst am Montag vorgenommen werden konnte, weil die dafür zuständige Abteilung über das Wochenende geschlossen war.
Marian hatte das Gefühl, daß bei der ganzen Sache irgendein sehr wichtiger Faktor fehlte, aber sie konnte nicht feststellen, wo und was. Nun, Red war wirklich tüchtig. Er war seit vielen Jahren Bewährungshelfer. Vielleicht fiel ihm etwas auf, das ihr weiterhelfen konnte. Er hatte den ärztlichen Bericht fertiggelesen und sah sie etwas zynisch an. »Na, wenigstens ist die Kleine normal. Freut mich«, sagte er.
Sie wußte, was er meinte. Der Riß des Hymens ist vollständig, die Narbe gut verheilt und unbestimmbaren Datums. Es sind jedoch Reizmerkmale an den Vaginalwänden und eine leichte Schwellung der Klitoris vorhanden, die auf die Wahrscheinlichkeit gesteigerter sexueller Aktivität in allerletzter Zeit noch kurz vor der Untersuchung hinweisen.
»Ich glaube allmählich, daß es in San Francisco keine Jungfrau über vierzehn gibt.« Er sah Marian an und lachte. »Rein historisch gesprochen, Marian - waren Sie mit vierzehn noch Jungfrau?«
»Schluß mit Ihren Witzen, Red. Und lassen Sie sich durch Ihren Beruf nicht Ihre Weltanschauung trüben. Die netten Jugendlichen kreuzen nämlich hier überhaupt nicht auf.«
»Wer war es? Der Bursche, den sie umgelegt hat?«
Marian sah ihn an. »Sie sagt es nicht. Sobald jemand sie danach fragt, klappt sie zu wie eine Auster. Spricht nicht, sagt nichts mehr. Lesen Sie den psychometrischen Befund und urteilen Sie selbst.«
Sie sah, wie er verdutzt die Brauen hochzog, als er in die Mitte der Seite kam. Ihr war es nicht anders gegangen.
»Die Kleine hat einen I. Q. von 152!«
»Stimmt genau, Intelligenzquotient 152. Wir haben es mit einer ungewöhnlichen Intelligenz und Auffassungsgabe zu tun. Darum ist es so schwer, das Folgende zu verstehen. Lesen Sie es.«
Schweigend las er weiter. Er überflog die nächsten Seiten schnell und legte dann den Bericht auf den Tisch. »Sie spielt Katze und Maus mit uns. Ich verstehe das nicht. Warum?«
»Genauso geht es mir. Haben Sie gelesen, was sie der Psychiaterin am Schluß ihrer Sitzung sagte? Daß sie durchaus zugibt, unrecht getan zu haben, daß ihr klar ist, sie hätte es nicht tun dürfen, daß sie bereit ist, alles mit uns durchzusprechen, was dieses Unrecht betrifft, aber daß sie kein Interesse daran hat, über mehr als dies zu sprechen.
Ihr Leben außerhalb dieses Komplexes sei ihre eigenste private Angelegenheit, und sie fühle sich nicht verpflichtet, etwas darüber auszusagen, da es nichts mit der begangenen Tat zu tun hat.«
»Sie spuckt ziemlich große Töne.«
Marian nickte. »Sie hat sich während des Wochenendes wieder gefangen. Zu schade, daß wir nicht mit ihr sprechen konnten, als sie Samstag eingeliefert wurde.
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