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Wohin du auch fliehst - Thriller

Wohin du auch fliehst - Thriller

Titel: Wohin du auch fliehst - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haynes Elizabeth
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mich klar genug ausgedrückt? Schön ist das nicht.
    Was auch immer das ist – es hat von mir Besitz ergriffen und lässt mich nicht mehr los. Ab und zu ertappe ich mich dabei, irgendeine neue Regel aufzustellen. Letzte Woche habe ich mich dabei erwischt, wie ich wieder die Treppenstufen gezählt habe. Das habe ich schon seit Jahren nicht mehr gemacht, außerdem ist es eine garantiert überflüssige Regel. Irgendwie scheine ich mich nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Es wird immer schlimmer statt besser.
    Und nun war wieder ein Samstag, ein Tag mit ungeradem Datum, und ich hatte weder Brot noch Teebeutel im Haus. Das Teebeutelthema war heftig, vor allem am Wochenende, denn dabei ging es um noch eine wichtige Regel: Wenn ich nicht um acht, um zehn, um vier und um acht Uhr Tee trinke, werde ich immer ängstlicher. Zum einen aus dem Gefühl heraus, versagt zu haben, zum anderen aus Koffeinmangel. Ich warf einen Blick in den Mülleimer, in den ich morgens um acht dummerweise den Teebeutel geworfen hatte, der nun zwischen Kartoffelscha len und der Nudelsauce von gestern lag. Einen Augenblick über legte ich sogar, ihn herauszufischen und wiederzuverwenden. Aber das hätte nicht funktioniert.
    Allein schon die Tatsache, dass ich zu dumm gewesen war, Tee zu besorgen, löste eine größere Panikattacke aus. Ich bin sehr gut darin, mir Vorwürfe zu machen. Wenn ich hinausginge, um Teebeutel zu kaufen, hätte ich die Wohnung nicht mehr richtig unter Kontrolle, denn heute war kein Tag mit gerader Zahl. Ich könnte zwar Teebeutel kaufen, aber dann bestünde die Möglichkeit, dass in der Zwischenzeit jemand einbrechen und auf mich warten würde.
    Über eine Stunde zerbrach ich mir den Kopf, welche Variante wohl schlimmer, ja welche Regel die Wichtigere ist.
    Um die Bilder loszuwerden, kontrollierte ich ein paarmal die Wohnung und machte jedes Mal irgendwas verkehrt. Und je öfter ich das tat, desto unkonzentrierter wurde ich. Manchmal hakt es, und dann bin ich körperlich nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu kontrollieren.
    Und die ganze Zeit über versucht ein leises Stimmchen in meinem Hinterkopf diese ganze Kakophonie zu übertönen, mich zur Vernunft zu bringen und mir einzuflüstern: Das ist nicht normal.
    Um Viertel vor zehn kauerte ich wie ein Häuflein Elend in einer Ecke, völlig verspannt und absolut fertig mit den Nerven, als ich es hörte: Die Haustür fiel ins Schloss – und zwar richtig –, dann Schritte auf der Treppe.
    Noch bevor ich dazu kam, darüber nachzudenken, fiel mir eine Lösung ein: Wenn ich schon keine Teebeutel kaufen konnte, konnte ich mir vielleicht welche leihen …
    Die Schritte kamen an meiner Tür vorbei und gingen weiter zur Wohnung über mir. Ich wartete einen Moment, wischte mir die Tränen von den Wangen und fuhr mir mit den Fingern durchs Haar. Ich hatte keine Zeit, meine Wohnung zu kontrollieren. Die Haustür war zu, ich hatte gehört, wie er sie geschlossen hatte, und zwar laut und deutlich. Ich musste einfach nur losgehen.
    Ich nahm meinen Hausschlüssel, warf noch einen letzten Blick in die Wohnung, kontrollierte sie nur ein einziges Mal, ging dann die Treppe hinauf und blieb vor seiner Wohnungstür stehen. Ich war noch nie hier oben gewesen. Im Gang gab es bis auf ein Fenster keine weitere Lichtquelle. Ich sah die Treppe hinunter, von hier aus konnte ich meine Wohnungstür erkennen. Ich klopfte, lauschte auf die Stille und dann auf die Schritte auf der anderen Seite der Tür.
    Als er die Tür öffnete, zuckte ich ein wenig zusammen. Es klang alles so laut in meinen Ohren.
    Er hatte ein sympathisches Lächeln. »Hi«, sagte er. »Alles in Ordnung?«
    »Ja, ich wollte nur fragen, ob Sie mir vielleicht etwas Tee borgen könnten. Mir sind die Teebeutel ausgegangen.«
    Er sah mich neugierig an. Ich bemühte mich, so normal wie möglich zu wirken, aber die Verzweiflung musste mir ins Gesicht geschrieben stehen.
    »Klar«, sagte er. »Kommen Sie rein.«
    Er hielt die Tür auf, trat einen Schritt zurück und ließ mich auf der Schwelle stehen und seinen Rücken bewundern. Normalerweise wäre ich lieber gestorben, als einem Fremden in einen geschlossenen Raum zu folgen. Aber die Umstände waren alles andere als normal, und wenn ich bis um zehn Uhr abends an Tee kommen wollte, blieb mir nichts anderes übrig.
    Die Küche lag am Ende des langen Flurs und befand sich, soweit ich das erkennen konnte, direkt über meinem Schlafzimmer. Kein Wunder, dass die chinesischen Studenten mich mit ihrer

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