Wohin du auch fliehst - Thriller
Krankenschwestern im psychiatrischen Dienst«, sagte sie und lächelte immer noch. »Haben Sie den Fragebogen dabei?«
»Oh – ja …« Ich kramte in meiner Tasche.
Deb nahm ihn entgegen. »Das spart Zeit, wenn Sie da drin sind, wissen Sie.«
Ich wartete, hörte, wie im Flur eine Tür aufging, und Schritte, die immer näher kamen, bis der Kopf eines Mannes um die Ecke schaute. »Cathy Bailey?«
Ich stand auf und folgte ihm. Immer wieder musste ich an Stuart denken. Bei allen Fragen, die mir der Facharzt für Psychiatrie stellte, dachte ich an ihn. Er hieß Dr. Lionel Parry und hatte einen ungepflegten grauschwarzen Bart, der nahtlos in sein grauschwarzes Haar überging. Als er mich fragte, wie lange ich brauchte, um Tür, Fenster, Schubladen und alles andere zu kontrollieren, überlegte ich schon, ihn anzulügen. Das klang alles so hirnverbrannt, Türen kontrollieren. Ich wusste, dass es sinnlos war, trotzdem konnte ich nicht damit aufhören.
Also sagte ich die Wahrheit. Manchmal mehrere Stunden. Manchmal komme ich Stunden zu spät zur Arbeit und arbeite länger, um die Zeit wieder reinzuholen. Sozialkontakte? Dass ich nicht lache! Ich finde, es ist schon eine Leistung, dass ich abends nicht ausgehen will.
Danach fragte er nach Lee. Ich erzählte ihm von den Flashbacks, den plötzlichen Erinnerungen an Dinge, die er getan hatte und die ich vergessen wollte. Und alles andere auch. Ich erzählte ihm von den Albträumen, den Panikattacken, dem Wachliegen bis vier Uhr früh, weil ich viel zu viel Angst hatte, wieder einzuschlafen. Ich zählte ihm auf, was ich alles zu vermeiden suchte: gesellschaftliche Ereignisse, überfüllte Plätze, die Polizei, rote Kleider.
Er hörte zu, machte sich Notizen und sah mich von Zeit zu Zeit prüfend an.
Ich zitterte.
Ich weinte nicht, noch nicht; aber darüber zu reden verunsicherte mich.
»Ich habe es mit Atemübungen versucht«, sagte ich plötzlich. »Ich habe versucht, die Angst zu kontrollieren. Manchmal funk tioniert es.«
»Das ist gut!«, meinte er. »Dann wissen Sie ja schon, dass Sie die Kontrolle haben. Wenn es Ihnen manchmal gelingt, die Angst zu beherrschen, müssen Sie nur üben und noch ein paar weitere Techniken lernen, um sie stets kontrollieren zu können. Der Anfang ist bereits gemacht, Kompliment!«
»Danke. Aber eigentlich habe ich das Stuart zu verdanken.«
»Stuart?«
»Das ist ein Freund. Er ist Psychologe.«
»Er hat Sie vielleicht in die richtige Richtung geschubst, doch Sie haben sich entschlossen, Ihre Angst unter Kontrolle zu bekommen. Niemand außer Ihnen hätte das tun können.«
»Vermutlich nicht.«
»Und denken Sie daran: Wenn Sie schon so weit gekommen sind, können Sie noch viel mehr erreichen. Sie müssten also auch in der Lage sein, Ihren Kontrollzwang zu beherrschen. Das wird Ihnen natürlich nicht auf Anhieb gelingen, aber Sie können es schaffen.«
»Und was passiert jetzt?«
»Ich werde Ihnen eine kognitive Verhaltenstherapie verschreiben. Außerdem sollten Sie eine medikamentöse Hilfe gegen die Panikattacken bekommen. Die Mittel brauchen eine Weile, bis sie ihre Wirkung entfalten, also machen Sie sich keine Sorgen, wenn Sie nicht gleich darauf ansprechen. Sie müssen ein paar Wochen Geduld haben.«
»Ich habe schon mal Medikamente genommen. Wenn es nicht unbedingt sein muss, würde ich lieber ohne auskommen.«
»Ich habe einen Blick in Ihre Krankenakte geworfen. Im Krankenhaus hat man Ihnen andere Medikamente verabreicht. Meine Mittel machen Sie weder schläfrig, noch versetzen sie Sie in einen Dämmerzustand. Ich möchte, dass Sie sie ausprobieren. Vermutlich haben Sie eine posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS genannt, sowie eine Zwangsstörung.«
»Stuart meinte, es wäre nicht schlecht, wenn man mich an Dr. Alistair Hodge überweisen würde.«
»Ja, das wollte ich Ihnen gerade auch vorschlagen. Er hat hier und im Maudsley Hospital Sprechstunde. Sie bekommen einen Brief von mir mit, und dann rufen Sie seine Sekretärin an. Ich gehe davon aus, dass Sie bald einen Termin bekommen. In der Zwischenzeit soll Deb Ihnen zur Sicherheit die Nummer des Notfallteams geben, aber ich glaube nicht, dass Sie es benötigen werden.«
»Wie lange werde ich Ihrer Meinung nach brauchen, um wieder gesund zu werden?«
Er zuckte die Achseln. »Schwer zu sagen. Jeder Mensch ist anders. Sie sollten aber schon nach einigen Sitzungen eine Veränderung zum Positiven hin bemerken. Aber machen Sie sich darauf gefasst, dass Sie auch
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