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Wohin sind wir unterwegs

Wohin sind wir unterwegs

Titel: Wohin sind wir unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zum Gedenken an Christa Wolf
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Hoffnung auf Veränderung zum Besseren.
    Christa Wolf hat versucht, Wahrhaftigkeit zu leben. Nachdenken verstand sie – so schrieb sie in »Nachdenken über Christa T.« – als den »Versuch, man selbst zu sein«. Christa Wolf unterzog sich immer wieder harten Selbstprüfungen, die vor der eigenen Biographie nicht haltmachten. Sie widerstand Vereinnahmungsversuchen und deckte doch auch immer wieder eigene Schwächen auf. Daß sie dazu stand und diese auch literarisch thematisiert hat, darin lag eine ihrer größten Stärken.
    So entstand große Literatur. Und sie selbst wurde vielen zum Vorbild – auch indem sie den künstlerischen Nachwuchs förderte. Christa Wolf bleibt uns in Erinnerung als ein Mensch, der sich mit Eigensinn, Zuversicht und Engagement in das Leben unserer Gesellschaft einbrachte und diese bereicherte.
    In ihrem Buch »Kindheitsmuster« gibt es den Satz: »Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.«
    Heute verstehen wir diesen Satz anders.
    Berlin verneigt sich vor dieser großen Berlinerin und sagt: Danke, Christa Wolf!

TADEUSZ JĘDRZEJCZAK
    Sehr geehrte Damen und Herren,
    liebe trauernde Familie,
    als Stadtpräsident von Gorzów Wielkopolski möchte ich der großen deutschen Schriftstellerin Christa Wolf gedenken. Ihr literarisches Talent entfaltete sie, die noch im Vorkriegslandsberg geboren wurde, in der Auseinandersetzung mit Erinnerungen an Orte, an denen wir heute leben und an die sie bei ihren Besuchen gerne zurückkehrte.
    Ihr Aufenthalt in Gorzów in den siebziger Jahren inspirierte sie zu ihrem Buch »Kindheitsmuster«. Darin zeichnet sie geradezu chronikhaft das Leben in den letzten Jahren des deutschen Landsbergs zwischen 1933 und 1945 nach. Der Roman »Nachdenken über Christa T.« zeigt dagegen, wie einschneidend für sie die Erfahrung gewesen war, die Heimat verlassen zu müssen. Denn sie teilte 1945 das Schicksal vieler Bewohner Landsbergs und mußte vor den heranrückenden sowjetischen Truppen fliehen.
    Aber Christa Wolf kehrte immer wieder in unsere Stadt zurück, so auch im Jubiläumsjahr zur 740-Jahr-Feier. Auf diese Weise konnte Gorzów für Christa Wolf ebenso wieder zu ihrer »Heimat« werden wie für die anderen Landsberger, mit denen wir alljährlich am 30. Januar, am Tag der Erinnerung und Versöhnung, gemeinsam die Friedensglocke läuten. Die schwierige Geschichte der deutsch-polnischen Grenzgebiete hat uns nicht entzweit, sondern vielmehr gestärkt und geeint. Dafür stehen beispielhaft Christa Wolf und ihr Werk, das in Polen hohes Ansehen genießt.
    Ich spreche der Familie der Verstorbenen, ihren Freunden sowie der gesamten Literaturszene, die eine derart herausragende Autorin verloren hat, mein tiefes Beileid aus. Der Tag der heutigen Begräbnisfeierlichkeiten, der 13. Dezember, ist für alle Polen ein symbolträchtiges Datum. Mit der Verhängung des Kriegsrechts verbindet sich mit diesem Tag einerseits ein trauriges Ereignis. Andererseits zeigt es, daß sich manche Entwicklungen nicht aufhalten lassen. Der Fall des Kommunismus und die demokratischen Umwälzungen erlaubten uns einen anderen Blick auf uns selbst. Sie ließen uns verstehen, was uns entzweit hat, damit uns künftig immer mehr eint. Die Grundlagen für diesen Versöhnungsprozeß legte unter anderem Christa Wolf – mit ihrem Schaffen, aber auch mit ihrer Lebenseinstellung.
    Ehre ihrem Andenken!
    Aus dem Polnischen von Bettina-Dorothee Mecke

H ier war es. Da stand sie. Diese steinernen Löwen, jetzt kopflos, haben sie angeblickt. Diese Festung, einst uneinnehmbar, ein Steinhaufen jetzt, war das letzte, was sie sah. Ein lange vergessener Feind und die Jahrhunderte, Sonne, Regen, Wind haben sie geschleift. Unverändert der Himmel, ein tiefblauer Block, hoch, weit. Nah die zyklopisch gefügten Mauern, heute wie gestern, die dem Weg die Richtung geben: zum Tor hin, unter dem kein Blut hervorquillt. Ins Finstere. Ins Schlachthaus. Und allein.
    Mit der Erzählung geh ich in den Tod.
    Hier ende ich, ohnmächtig, und nichts, nichts, was ich hätte tun oder lassen, wollen oder denken können, hätte mich an ein andres Ziel geführt. Tiefer als von jeder andren Regung, tiefer selbst als von meiner Angst, bin ich durchtränkt, geätzt, vergiftet von der Gleichgültigkeit der Außerirdischen gegenüber uns Irdischen. Gescheitert das Wagnis, ihrer Eiseskälte unsre kleine Wärme entgegenzusetzen. Vergeblich versuchen wir, uns ihren Gewalttaten zu entziehn, ich weiß es seit langem. Doch neulich

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