Wohin sind wir unterwegs
Strenge, mich nicht auf eines der unsäglichen Podien zur Staatssicherheit einzulassen: »Friedrich, du mußt dich nicht in jedes bereitgestellte Schwert stürzen.« Sie sollte so recht behalten.
2007 schrieb sie mir: »Manchmal möchte man einfach die Klappe halten vor all der nachwachsenden Dummheit – aber das geht halt eben doch nicht.« Der nachwachsenden Dummheit entgegenzutreten, das werden wir jetzt ohne sie unternehmen müssen, wenigstens die Wachstumsstörungen der Dummheit befördern.
Wir können zurückgreifen auf das, was sie uns hinterlassen hat –
an menschlichem Reichtum,
an gedanklicher Klarheit und nicht zuletzt
an wachem Einspruch und warmherzigem Zuspruch.
Paul Flemings Gedicht »An sich« ließ sie für sich gelten:
»Sei dennoch unverzagt, gib dennoch unverloren [...].
Tu, was getan muß sein, und eh man dir’s gebeut.
Was du noch hoffen kannst, das wird noch stets geboren.«
Ja, Christa: Dennoch. Unverloren.
DANIELA DAHN
Ich weiß keinen Trost dafür, daß Christa Wolf nicht mehr lebt, außer dem, daß sie gelebt hat. Als sie zu ihrem 80. Geburtstag die an langer, üppiger Tafel sitzenden Gäste mit einer kleinen Rede willkommen hieß und zu jedem einige rückblickende Worte fand, war ich nicht darauf gefaßt, was sie mir sagen würde. Nämlich daß in ihrem wahrlich großen Freundeskreis ich diejenige sei, die sie am längsten kenne. All die, mit denen Christa Wolf viel eher verbunden war, waren nicht mehr unter uns.
Und wir begegneten uns sehr früh. Ende 1965, während einer lebhaften Diskussion mit Schülern zum Film »Der geteilte Himmel« in den Kammerspielen von Kleinmachnow, unserem gemeinsamen Wohnort. Danach sprach sich an meiner Mathematik-Spezialschule herum, daß Christa und Gerhard Wolf bei sich zu Hause einen Literaturzirkel anbieten. Wie viele hat damals ein solcher Vorschlag gereizt? Wir waren fünf, manchmal sechs. Gut zwei Jahre lang, in denen wir regelmäßig zusammenkamen, bei Tee und Keksen, vertraut, schließlich fast familiär. In jener Zeit, in der die junge Schriftstellerin mit den Folgen ihrer mutigen Rede auf dem berüchtigten 11. Plenum zu kämpfen hatte und an »Christa T.« schrieb, hat sie auch noch die Mühe mit uns auf sich genommen.
Es muß eine Mischung aus Neugier und pädagogischer Sorge gewesen sein, darüber, daß die Jugend nicht wisse, »wozu sie lebt, wozu sie hier lebt«, wie sie in jener Rede gewarnt hatte. So lernten wir früh: Literatur ist (anders als die Mathematik) dazu da, das Ich zu stärken. Wir begaben uns mit Wolfs gern auf Anna Seghers’ »Ausflug der toten Mädchen«, ließen dann aber durchblicken, daß wir mehr über ungedruckte sowjetische Lyrik erfahren wollten oder über Kafka, der gerade erschienen war, oder über Freud und Camus, die gerade nicht erschienen waren.
Im Frühling 1968 gehörte ich mit Christas und Gerhards Tochter Annette zu einem Grüppchen von Schülern, die, wegen einer Dubček-freundlichen Wandzeitung, in heftige Schwierigkeiten gerieten. Da solche Ideen nicht aus dem Unterricht stammen konnten, wurden Eltern verdächtigt, hinter der Idee zu stecken – was nicht stimmte. Zu der Zeit hing die Druckgenehmigung für das inzwischen längst abgeschlossene Manuskript »Christa T.« am seidenen Faden – jeder zusätzliche Konflikt kam ungelegen. Dennoch haben die Wolfs uns gegen die Angriffe verteidigt. Seither wußte ich, daß man sich auf ihren menschlichen Beistand unbedingt verlassen konnte – ein Grundgefühl, das sich für mich wie für viele andere immer wieder bestätigt hat.
Schließlich zogen wir den beiden nach Mecklenburg hinterher, ihr Haus nur einen Hohlweg entfernt. »Tages Arbeit, abends Gäste«. Ein Anlaß fandsich immer. Als die erste Rose aufblühte, lud Christa eben zum improvisierten »Fest der Rose«. Doch keine Idylle, nirgends – das wird in »Sommerstück« beschrieben. In die Erinnerung drängen sich auch dramatische Bilder, wie die von diesem glühend heißen 11. Juli. Zehn Jahre hatten die Wolfs das alte Bauernhaus mit Rohrdach hergerichtet, gerade war es fertig – Großvater und Tochter mit Baby waren zu Besuch. Da ging das Haus durch einen Funken in Minutenschnelle über allen Bewohnern in Flammen auf. Ich sah Christa neben dem aus der Ruine ragenden Schornstein und den qualmenden Eichenbalken stehen, die Hoffnung auf weitere, unbeschwerte Sommerstücke in Asche versunken. Als ich ihr heulend in die Arme fiel, war sie es, die tröstete: »Ja, ja, mein Mädchen, wir
Weitere Kostenlose Bücher