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Wohin sind wir unterwegs

Wohin sind wir unterwegs

Titel: Wohin sind wir unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zum Gedenken an Christa Wolf
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am Hanseatenweg las sie im Juni vergangenen Jahres aus ihrem letzten Buch »Stadt der Engel«. Christa Wolf wurde zu Werner Düttmanns Zeiten, des Erbauers dieses Hauses, 1982 Mitglied der Akademie West, der Ost-Akademie gehörte sie schon seit 1974 an. Eine künstlerische und politische Doppelexistenz unter dem geteilten Himmel dieser Stadt? Wohl eher ein Bindeglied zwischen den beiden getrennten und doch verknüpften Akademien. Denn Christa Wolf läßt sich nicht in eine Ost- und eine Westschriftstellerin teilen. Kaum eine andere Autorin der letzten Jahrzehnte konnte für sich in Anspruch nehmen, als moralische Instanz der DDR -Leserschaft und zugleich als Identifikationsfigur einer großen Zahl westdeutscher Leserinnenund Leser zu gelten. Freilich las man sie anders in Ost und West, weil die politischen Kontexte unterschiedlicher nicht sein konnten. Doch in beiden Hemisphären gab es stets Menschen, die ihre Selbstermunterung brauchten, die dank ihrer Literatur mehr über das eigene Ich erfuhren oder sich zu fragen trauten. Wie nahbar sie für ihre Leser war, belegen über zehntausend Briefe, die sie ab 1994 unserem Akademie-Archiv anvertraut hat. Christa Wolf war auch aktiv in den Vereinigungsprozeß beider Akademien, im sogenannten Zwanzigergremium, eingebunden. In einer denkwürdigen Sitzung hatte Heiner Müller sie wie auch Klaus Staeck zu dessen Mitgliedern ernannt. Verhandelt wurde mit dem Ziel, eine gleichberechtigte Vereinigung zu erreichen, und mit Walter Jens gab es einen Partner, keinen Gegner, auch er hatte sich vorgenommen, ein Anti-Treuhandmodell zu versuchen.
    Ich selbst habe Christa Wolf nicht persönlich kennengelernt, aber als Studentin der Philosophie und Germanistik an der Humboldt-Universität zwischen 1953 und 1958 hatte ich, zusammen mit einer Gruppe von aufstrebenden jungen Literaten wie zum Beispiel Manfred Bieler, Manfred Streubel und einigen anderen, die Chance, Vorlesungen zu hören von Persönlichkeiten wie Alfred Kantorowicz oder Hans Mayer. Auch dadurch angeregt, haben wir mit kritischem Interesse die Debatten zu aktuellen Themen verfolgt, unter anderem in der Neuen Deutschen L iteratur . Damit wurde Christa Wolf schon früh für mich eine verehrte und wichtige Persönlichkeit.
    Durch die politischen Verhältnisse in Deutschland war auch meine Familie in die wechselvolle Ost-West-Geschichte eingebunden, und als »Der geteilte Himmel« von Christa Wolf erschien, wurde dieses Buch zu einer berührenden und nachwirkenden Erfahrung für uns wie für so viele Menschen in unserem Land.
    Viele Jahre sind seitdem vergangen, aber die Spuren dieser Zeit sind auf vielen Ebenen bis heute erkennbar. Inzwischen ist ein politisches System implodiert, und das andere, überlebende, scheint in seinen Grundfesten erschüttert, wenn man bereit ist, sich der wahrlich krisengeschüttelten Gegenwart zu stellen. Die Reflexionen, mit denen die wirkungsmächtige deutsche Schriftstellerin diese Weltveränderungen begleiten würde, werden uns ab jetzt fehlen.
    Wir sind hier zusammengekommen, um in Trauer eines liebenswerten Menschen zu gedenken, aber auch, um für alles zu danken, was Christa Wolf uns geschenkt hat. Und das zählt schließlich.

KLAUS WOWEREIT
    Lieber Gerhard Wolf,
    liebe Angehörige,
    liebe Weggefährtinnen und Weggefährten von Christa Wolf,
    Berlin hat eine große Schriftstellerin verloren.
    Christa Wolfs literarisches Werk gehört zu den bedeutendsten im deutschen Sprachraum. Und weit darüber hinaus. Ihr Werk hat Leserinnen und Leser in der ganzen Welt tief berührt.
    Christa Wolf hat vielleicht auch deshalb so viele Menschen fasziniert, weil sie sich jedem Klischee widersetzte, das andere ihr anheften wollten.
    Sie war eine in und für die Gesellschaft engagierte Literatin. Den Autonomieanspruch der Kunst wie des Individuums gegenüber Herrschaftsansprüchen von Staat und Partei hat sie verteidigt wie nur wenige andere.
    Christa Wolf schrieb über den »geteilten Himmel«, aber mit der Teilung gab sie sich nie zufrieden. Für sie gab es nur eine Welt und eine Menschheit. Um deren Wohl es ihr immer ging. Auch für ihr Publikum war sie eine gesamtdeutsche Autorin.
    Christa Wolf war tief bewegt von der Figur der »Kassandra«, aber alles andere als eine Unheilsprophetin.Im Gegenteil: Mit ihrem Einsatz gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann zum Beispiel oder mit ihrem Auftritt am 4. November 1989 bei der großen Kundgebung auf dem Alexanderplatz nährte sie gemeinsam mit vielen anderen die

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