Wohnraum auf Raedern
Schwarze, weiße, feine, wie die von Wasnezow? ...
»Larissa Leontjewna, wo sind die Nonnen?!«
»Er phantasiert, der Arme! ...«
»Überhaupt nicht. Ich denke gar nicht daran zu phantasieren! Nonnen! Erinnern Sie sich denn nicht? Bitte, geben Sie mir das Buch. Dort, dort, in der dritten Reihe. Melnikow-Petscherskij ...«
»Mischunja, Sie dürfen nicht lesen! ...«
»Was? Warum darf ich nicht? Morgen stehe ich s o wieso auf. Ich gehe zu Petrow. Sie verstehen nicht. Sonst lassen sie mich zurück! Sie werden mich zurüc k lassen!«
»Also gut, gut, Sie werden aufstehen! Da ist das Buch.«
Ein liebes Buch. Es riecht auch so alt und vertraut. Aber die Zeilen beginnen zu hüpfen, durcheinander zu purzeln. Jetzt fällt es mir ein. Dort im Kloster wurde Falschgeld hergestellt, Romanow-Geld. Oje, mein G e dächtnis. Nicht Nonnen, sondern Noten, Banknoten ...
Meine Mädel, meine wilden! ...
»Larissa Leontjewna ... Larotschka! Lieben Sie Wälder und Berge? Ich gehe ins Kloster. Unbedingt! In die Einöde, in eine Einsiedelei. Dichter Wald, Vogelgezwi t scher, keine Menschen ... Mir ist dieser idiotische Krieg zuwider! Ich flüchte nach Paris, schreibe dort einen Roman, und dann ins Kloster. Nur morgen soll mich Anna bitte um acht wecken. Verstehen Sie, schon ge s tern hätte ich bei ihm sein sollen ... Verstehen Sie doch!«
»Ja, ja, ich verstehe. Seien Sie still!«
Nebel. Heißer rötlicher Nebel. Wälder, Wälder ... und langsam tropft Wasser aus einem Spalt in einem grünen Stein. Welch reiner kristallklar gesponnener Strahl. Nur hinkriechen muß man. Ein Trunk davon, und alles wird gut! Aber mühsam kriecht sich’s über das Reisig, es klebt und sticht. Ich öffne die Augen, plöt z lich ist es kein Reisig mehr, sondern das Leintuch.
»Du lieber Gott! Was ist denn das für ein Leintuch ... Habt ihr es vielleicht mit Sand bestreut? ... Wa-asser!«
»Sofort, sofort! ...«
»A-ach, zu warm, schlecht!«
» ... schrecklich. Wieder vierzigfünf!«
» ... den Eisbeutel ...«
»Doktor! Ich will ... sofort nach Paris übergeführt werden! Ich wünsche nicht mehr in Rußland zu bleiben ... Wenn nicht, geben Sie mir meinen brau... Browning! Larotschka-a! Den Browning! ...«
»Schon gut, gleich, gleich. Regen Sie sich nicht auf! ...«
Finsternis. Licht. Finsternis ... Licht. Und wenn ihr mich erschlagt, ich erinnere mich nicht ...
Mein Kopf! Mein Kopf! Das sind keine Nonnen, die den Herrn der Heerscharen besingen, sondern brülle n de Teufel, die mit glühenden Brecheisen den Schädel aufstemmen. Mein Ko-opf! ...
Licht ... Finsternis. Li... nein, aus! Nichts ist schrec k lich, alles, alles ist gleich. Der Kopf tut nicht mehr weh. Finsternis und einundvierzigeins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 . Was soll aus uns werden?!
Der Belletrist Jurij Sljoskin saß in einem luxuriösen Sessel. Überhaupt war das ganze Zimmer luxuriös, und deshalb wirkte Jura darin besonders fehl am Platz. Sein Schädel war vom Typhus kahl und sah genau so aus wie der von Mark Twain beschriebene Kopf eines Buben (ein Ei, mit Pfeffer bestreut). Sljoskins Uniformjacke war von Motten zerfressen und hatte ein Loch unter der Achsel. Seine Hosen waren graue Lumpen, ein Hose n bein länger, das andere kürzer. In seinem Mund steckte eine Pfeife für zwei Kopeken. In seinen Augen wechse l ten Angst und Trauer einander ab.
»Was soll denn nun aus uns werden?« fragte ich und erkannte meine Stimme nicht. Nach dem zweiten A n fall war sie schwach, dünn und zittrig.
»Was? Was?«
Ich drehte mich auf dem Bett herum und schaute traurig zum Fenster hinaus, wo sich die noch kahlen Zweige leise im Wind bewegten. Der wundervolle Himmel im sanft glühenden Abendrot gab natürlich keine Antwort.
Auch Sljoskin schwieg und nickte nur mit seinem verunstalteten Kopf. Im angrenzenden Zimmer rasche l ten Frauenkleider. Eine weibliche Stimme flüsterte: »Heute nacht machen die Inguschen einen Raubzug in die Stadt ...«
Sljoskin richtete sich auf und widersprach: »Nicht Inguschen, sondern Ossetinen. Nicht heute nacht, so n dern morgen früh.«
Nervöses Gläserklirren im anderen Zimmer war die Antwort.
»Mein Gott! Ossetinen?! Das wird schrecklich!«
»Wo liegt der Unterschied?«
»Der Unterschied?! Sie kennen nicht die Bräuche hier. Wenn die Inguschen einen Raubzug machen, dann ... rauben sie. Aber die Ossetinen – die rauben und morden
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