Wolf Shadow Bd. 2 - Magische Versuchung
nicht sahen, ging ihm einfach nicht in den Kopf. Aber sie würde nicht …
„Rule.“ Eine weiche weibliche Stimme hatte seinen Namen gerufen, die ihm erst seit Kurzem vertraut war. Er wandte sich um und sah Lilys Mutter, die ihm zuwinkte.
Julia Yu war eine große, elegante Frau mit schönen Händen, einem sehr kleinen Kinn und Lilys Augen unter dünn gezupften Brauen. Neben ihr standen zwei Frauen in ihrem Alter, eine Angloamerikanerin und eine Chinesin, die beide ungemein neugierig schienen, was ihn betraf, und versuchten, es nicht zu zeigen.
Rule unterdrückte einen Seufzer. Er war froh über die Gelegenheit gewesen, Lilys Familie anlässlich dieser Hochzeit kennenzulernen. Schließlich wollte er alles von ihr wissen. Am Abend zuvor hatte er ihre Eltern beim Probedinner getroffen, mit mäßigem Erfolg. Beide waren sehr höflich gewesen, aber keiner von beiden billigte ihn. Ihr Vater behielt sich sein abschließendes Urteil vor, dachte er. Ihre Mutter mochte ihn, allerdings gegen ihren Willen, und wünschte, er würde wieder von der Bildfläche verschwinden.
Aber jetzt wollte er nur Lilys Nähe. Er war die Neugier leid, die Angst, die Mutmaßungen. Obwohl er daran gewöhnt war, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, war es dieses Mal anders. Persönlicher. Seht mal her, was Lily nach Hause nachgelaufen ist. Es geht und redet wie ein echter Mensch.
Doch nach einer flüchtigen Vorstellung entschuldigte sich Julia Yu und zog Rule auf die Seite. Sie zog die dünnen Augenbrauen zusammen und fragte: „Haben Sie Lily gesehen?“
Überrascht sah er sie an. „Ich habe gerade nach ihr gesucht.“
„Ts. Wie dumm von mir.“ Sie schüttelte den Kopf. „Daran ist Beth schuld, sie hat mir das eingeredet. Und ich war so beschäftigt … Sie haben ja keine Ahnung, was für eine Arbeit es ist, eine solche Hochzeit auf die Beine zu stellen.“
Sorge schnitt tief in seinen Magen. Mechanisch antwortete er: „Das haben Sie ganz wunderbar gemacht. Die Hochzeit war fantastisch, genauso wie der Empfang. Aber was hat Beth Ihnen eingeredet?“
„So eine dumme Geschichte! Natürlich hat sie sich das alles nur eingebildet. Beth hat eine sehr lebhafte Fantasie.“ Es war unmöglich zu sagen, ob das ein Kompliment oder Kritik an ihrer jüngsten Tochter war. Das Stirnrunzeln wollte nicht weichen. „Ich habe ihr jedenfalls keine besondere Beachtung geschenkt.“
„Was für eine Geschichte?“
„Sie sagte, sie sah, wie Lily in die Damentoilette ging, und ist ihr gefolgt. Sie hatten in letzter Zeit nicht viel Gelegenheit, miteinander zu reden, also nehme ich an, dass sie … aber Lily war nicht dort.“ Julia verzog den Mund. „Sie schwört, dass Lily den Raum nicht hätte verlassen können, ohne dass sie es gesehen hätte, aber das ist natürlich Unsinn.“
Es musste Unsinn sein. Oder etwa nicht?
Für einen Moment stand Rule stocksteif da. Lily war nicht weit weg. Er wusste es. Aber es war auch ihm nicht gelungen, sie zu finden, und das Leben war nicht so normal und geordnet, wie es den Anschein hatte. Die Welten waren dabei, sich zu verschieben.
Und vor drei Wochen hatte Lily eine Göttin verärgert.
„Ich werde sie suchen.“ Mit einer schnellen Bewegung wandte er sich ab. Er wusste, es war töricht, hatte aber das Gefühl, er müsste sich beeilen.
Da sie zuletzt in der Damentoilette gesehen worden war, lenkte er seine Schritte als Erstes dorthin. Die Toiletten befanden sich in einem Flur, der die privaten Esssäle mit dem öffentlichen Teil des Restaurants verband. Eine kleine Gruppe missgelaunter Frauen hatte sich vor der Tür versammelt. Er schnappte einige Gesprächsfetzen auf.
„ … jemand nach dem Manager geschickt?“
„Gibt es keine andere?“
„Es gibt genug Kabinen für alle. Kein Grund, die Tür abzuschließen.“
„ … irgend so ein Sadist, wenn ihr mich fragt!“
Jemand hatte die Tür zu den Damentoiletten abgeschlossen. Rules Mund wurde trocken. Er bahnte sich einen Weg durch das Grüppchen der Frauen, die ihm bereitwillig Platz machten, erst nur wegen seiner Körpergröße und seines Lächelns, dann, einen Augenblick später, weil sie ihn erkannt hatten. „Entschuldigung, meine Damen. Ich bitte um Verzeihung. Nein, ich bin nicht der Manager, aber wenn Sie bitte beiseitetreten wollen …“
„Shannon“, flüsterte eine von ihnen einer anderen zu. „Sieh doch mal! Das ist der Prinz der Nokolai!“
Das brachte sie für kurze Zeit zum Schweigen. „Ich kümmere mich darum, wenn Sie …
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