Wolf unter Wölfen
nicht, auch nicht in den Innentaschen, wohl aber in diesen Außentaschen ist sein Geld durch Naßwerden gefährdet. Er vergißt nicht eine Sekunde (was er grade auch denken mag), daß er diese Summe bei sich trägt: siebenhundertsechzig Millionen. Darunter ein Viertel, also zweihundertfünfzig Dollar, in gutem amerikanischem Notenbankpapier, herrliche Papierdollars, das Begehrteste, was es heute gibt in Berlin …
Ich kann die Stadt tanzen lassen dafür heute nacht! denkt Wolfgang und pfeift zufrieden. Der Rest – fünfhundertsiebzig Millionen – ist deutsches Papier, teilweise in unglaublich kleinen Beträgen.
Wie es aber auch zusammengekommen war! Schwer genug hatte es gehalten, dem Kunstfritzen diese Summe heute abend noch zu entreißen! Es sei nicht so viel Geld mehr im Hause, zu den Banken könne man auch nicht mehr schicken, sie seien schon geschlossen. Eine Anzahlung, jawohl, und der Rest morgen früh, neun Uhr dreißig, durch Boten an jedem Fleck in Berlin, den Herrn Pagel nur wünschen würde. Er sei dem Herrn Pagel doch wohl gut für diese Summe, wie?
Und dabei hatte der Händler, ein schwerer, massiger Mann, ziemlich rotes Gesicht und dazu ein Assyrerbart, schwarz, an seinen Wänden entlanggesehen. Mit einem liebevollen Stolz.
Wolfgang war diesem Blick mit seinen Augen gefolgt. Soweit war er nun doch der Sohn seines Vaters, er hatte den Stolz verstanden und auch die Liebe dieses schweren Mannes, der eigentlich gar nicht nach Kunst aussah, zu seinen Bildern.
Drüben, zwei Häuserblocks weiter, an der Potsdamer Straße, verkauften sie im »Sturm« auch Bilder. Da hatte manmanchmal lange mit Peter gestanden und diese Marcs, Kampendoncks, Klees, Noldes angesehen. Manchmal hatte man lachen müssen oder den Kopf schütteln oder schimpfen, denn vieles war einfach wichtigtuerische Frechheit – es waren die Zeiten des Kubismus, des Futurismus, des Expressionismus. Sie klebten Fetzen Zeitungspapier in ihre Bilder und zerbrachen die Welt zu Dreiecken, die man wie ein Puzzlespiel wieder zusammensetzen wollte. Aber manchmal hatte man auch dagestanden, von etwas durchzuckt. Ein Gefühl regte sich, etwas rührte einen an, eine Saite erklang: Dies ist doch etwas? Wird doch etwas Lebendiges geboren aus dieser fauligen Zeit?
Hier aber, bei diesem reichen Manne, der Bilder nur kaufte, wenn sie ihm gefielen, dem nur wenig am Verkauf des Erworbenen lag – hier sah man nicht solche Experimente, keine tastenden Versuche. Hier gab es, schon im Empfangsraum, einen Corot, irgendeinen Weiher, ganz in rötliches Licht getaucht, und röter war doch noch die Mütze des einsamen Fährmannes, der den Kahn vom Ufer mit der Ruderstange abstieß. Es gab einen herrlichen van Gogh: die unendliche Weite grünender und gilbender Felder, mit dem noch viel weiteren Blau des Himmels darüber, das schon schwarz vom aufsteigenden Gewitter zu werden beginnt. Es gab einen Gauguin, mit den sanftbraunen, schönbrüstigen Mädchen; jawohl, auch einen Pointillisten wie Signac, einen kindlich unbeholfenen Mann wie Rousseau, ein stilles Tierstück von Zügel, rot besonnte Kiefern von Leistikow … Aber all das war längst dem Experiment entrückt – Verständnis hatte es geprüft und der Liebe für wert befunden, und nun wurde dies alles geliebt. Diesem Mann konnte man trauen.
Aber wenn Wolfgang Pagel dies alles auch sah und verstand, so wußte er doch ebensogut, daß er hier verlangen konnte, was er wollte, selbst etwas so Unmögliches, wie nach sechs Uhr, wenn kein Geld mehr im Hause ist, die Summe von siebenhundertsechzig Millionen zusammenzukratzen. Schon als er eingetreten war, triefend naß wie eine gebadete Katze, undunter seinem Waffenrock das Bild hervorgezogen hatte, das er dort vor dem Gewitterschauer, so gut es eben ging, geschützt hatte –, als er dieses Bild dem etwas pflaumenweichen Herrn, der ihn empfing, gezeigt und als der sachlich, aber mit einem mißtrauischen Blick auf ihn gesagt hatte: »Gewiß, ein Pagel. – Aus seiner besten Zeit. – Sie verkaufen im Auftrag von …?« –, schon da hatte er gespürt, daß man hier dieses Bild unter allen Umständen kaufen würde, daß er die Bedingungen machen konnte.
Dann hatte der Pflaumenweiche – auf Pagels Antwort hin: »Ich verkaufe im eigenen Auftrag« – den Besitzer gerufen, und dieser hatte, ohne auch nur viel Aufhebens von dem Manne im Waffenrock zu machen (in diesen Zeiten verkauften die unwahrscheinlichsten Elendsgestalten unwahrscheinlichste Kostbarkeiten) – dieser
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