Wolf unter Wölfen
»Ich dresche euch Idioten!«
Er verlor den Halt. Lustig rief er: »Hoppla!«, sechs Stufen schaffte er noch aufrecht. Dann stürzte er vornüber, und so fiel er die Treppe hinab, den zurückweichenden Gästen vor die Füße.
Da lag er nun, bewegungslos, bewußtlos.
»Wo bringen wir ihn hin?« fragte der Rittmeister von Prackwitz hastig und faßte ihn schon unter den Achseln.
Plötzlich wimmelte es um den Gefallenen von Angestellten. Die Gäste wurden zurückgedrängt. Unter der Treppe, in dem Gang zu den Wirtschaftsräumen, verschwanden die Träger – mit Studmann und Prackwitz. Die ersten Nachrichten zirkulierten: Junger Deutschamerikaner. Alkohol nicht gewöhnt, Prohibition, Dollarmilliardär, stockbetrunken …
Alles war drei Minuten darauf wieder in Ordnung: schwatzte, langweilte sich, fragte nach Post, telefonierte, sah nach dem Regen.
8
Als Wolfgang Pagel zwischen sechs und sieben Uhr abends aus dem Kunstgeschäft in der Bellevuestraße trat, regnete es noch immer, wenn auch sachter. Zweifelnd sah er die Straße hinauf und hinunter. Sowohl am Esplanade-Hotel wie beim Rolandsbrunnen hielten Autotaxen, sie hätten ihn schnell genug zu Petra gebracht. Aber ein starrköpfiger Eigensinn verbot ihm, dieses allein für sein Mädchen bestimmte Geld anzugreifen.
Er rückte die alte Feldmütze fester und ging los – in einer halben Stunde konnte er gut und gerne bei Peter sein. Vorhin war er, ohne Geld, mit der Elektrischen sehr schön auf den Potsdamer Platz gekommen, obwohl ihn das Bild jedem Schaffner auffällig machte. Aber der durch das Unwetter gesteigerte abendliche Ansturm auf die Bahnen hatte ihm trotz alledem die Schwarzfahrt möglich gemacht. Jetzt, unfaßbare Millionen in der Tasche, konnte so eine Schwarzfahrt unmöglich gewagt werden – ein Nachlösen, wurde er ertappt, hätte seine Millionen angerissen.
Pagel pfeift zufrieden vor sich hin, während er an der endlosen Gartenmauer des Reichskanzlerpalais einhergeht. Er weiß sehr wohl, daß all diese Überlegungen über Fahrgeld oder kein Fahrgeld blanker Unsinn sind, daß es viel wichtiger(und auch anständiger) wäre, Peter rasch Hilfe zu bringen – aber er zuckt die Achseln.
Er ist wieder einmal der Spieler. Er hat sich vorgenommen, den ganzen Abend, komme, was da wolle, nur Rot zu setzen – und er wird nur Rot setzen, der Teufel hole ihn, die Chancen mögen gegen ihn sein, wie sie wollen! Rot siegt doch! So wird, führt er nur seinen Vorsatz durch, Petra die siebenhundertsechzig Millionen unversehrt in die Hände zu legen, ihre Sache zum guten Ende kommen. Fehlen aber nur zehntausend, nur tausend Mark an dem Gelde, so sind die schwarzen Folgen gar nicht abzusehen!
Vielleicht dämlich, sicher abergläubisch – aber kann man es denn wissen? Dies Leben ist so verzwickt, kommt immer von hintenherum, vereitelt alle Logik, jede genaue Berechnung – besteht da nicht die allergrößte Aussicht, mit Aberglauben, mit dämlichem Rechnen, mit Widersinn und Unverstand ihm auf die Schliche zu kommen –?! Nun also, Wolfgang, es ist alles richtig, und wenn es nicht richtig ist, ist es auch noch so! Ob man mit Logik oder mit Unverstand falsch rechnet, ist das Privatvergnügen jedes einzelnen – er, Wolfgang Pagel, ist für den Unverstand.
So bin ich, so bleibe ich, in Ewigkeit, amen!
Siebenhundertsechzig Millionen! Runde tausend Dollar!! Viertausendzweihundert Friedensmark!!! Ein hübsches Sümmchen in der Abendstunde für einen, der am Mittag noch beim »Onkel« um einen einzigen Dollar betteln mußte! Für den zwei Schrippen und eine – sehr abgestoßene – Emaillekanne mit Mischkaffee in der Morgenstunde außer dem Bereich alles Möglichen waren!
Pagel ist unter dem Brandenburger Tor angekommen, er möchte hier einen Augenblick Luft holen vor dem ewig niederrinnenden Regen, sich das Gesicht abtrocknen. Aber es ist nicht möglich – unter den Torbogen drängt es sich von Bettlern, Hausierern, Kriegsverletzten. Alle hat – aus den Eingängen des Tiergartens, vom Pariser Platz her – der Regen in diesen Schutz gescheucht, und wenn sich Pagel unter siestellt, gefährdet er seine Unfähigkeit, nein zu sagen, die Unverletzbarkeit seines heiligen Geldtransportes. So entflieht er sich und dem Flehen der Bettler – hart wie viele Menschen aus Schwäche, nicht aus Härte – und geht wieder hinaus in den Regen.
Er hält – ein wenig gezwungen ist diese Haltung – die Hände sorgfältig über die Taschen seines Waffenrockes. In den Hosentaschen
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