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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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aussah, als sei sie lange nicht rasiert. Über die Stirn lief eine rote Schramme von dem Treppensturz her.
    Von Prackwitz sah den Freund an, dann die Kellerstube. Es war kein einladendes Gemach, in das sie ihren Empfangschef getragen hatten. Eine große elektrische Rolle nahm den meisten Platz ein. In der Ecke waren leere Waschkörbe zusammengestellt, zwei Bügelbretter lehnten an der Wand.
    Als ein Kellner hereinspähte – alles schien sich im Recht zu glauben, ohne jeden Umstand hereinzuschauen, an der Tür ungenierte Bemerkungen zu machen, ja, zu lachen –, fragte Rittmeister von Prackwitz recht ärgerlich: »Herr von Studmann muß doch hier im Hotel sein eigenes Zimmer haben. Warum ist er nicht in sein Zimmer geschafft worden?«
    Der Kellner zuckte die Achseln und sagte mit einem neugierigen Blick auf den Schlafenden: »Woher soll ich denn das wissen?! Ich habe ihn doch nicht hierhergeschleppt!«
    Von Prackwitz bezwang sich. »Schicken Sie mir – bitte – jemanden von der Leitung.«
    Der Kellner verschwand, Prackwitz wartete.
    Aber es kam niemand. Es kam lange Zeit niemand. Der Rittmeister lehnte sich auf dem Küchenstuhl zurück, schlug die Beine übereinander und gähnte. Er war müde und abgespannt.Er fand, er hatte reichlich viel erlebt, seit heute morgen sein Zug, von Ostade her kommend, in den Schlesischen Bahnhof eingefahren war. Zu viel eigentlich für einen schlichten Landbewohner, der großstädtischen Erregungen entfremdet war.
    Der Rittmeister brannte sich eine Zigarette an, vielleicht würde die ihn ein bißchen frisch machen. Nein, es kam immer noch niemand. Es mußte sich ja eigentlich auch bei der Leitung des Hotels herumgesprochen haben, daß der Empfangschef und Subdirektor angesichts der überfüllten Hotelhalle – nach einigen wirren Reden – die Treppe hinabgestürzt war. Trotzdem bemühte sich keiner von den Herren. Der Rittmeister runzelte unwillig die Stirn. Es war kein Zweifel: irgend etwas bei dieser Sache stimmte nicht. Es war kein einfaches Fallen von der Treppe gewesen, wie es einmal – durch die Tücke des Objekts – auch dem Besterzogenen passieren kann. Die Zudringlichkeit des unteren, das Fernbleiben des oberen Hotelpersonals, der Atem des Schläfers verrieten es zur Genüge: Oberleutnant von Studmann war betrunken, sinnlos betrunken gewesen. War es noch.
    Von Prackwitz überlegte, ob Studmann vielleicht ein Trinker geworden sei? Möglich war das. Möglich war in diesen verfluchten Zeiten alles. Aber der Rittmeister verwarf den Gedanken an gewohnheitsmäßiges Trinken trotzdem sofort wieder. Einmal fällt ein Gewohnheitstrinker keine Treppe hinunter – so etwas geschieht nur den Dilettanten im Trinken; zum andern behält die Leitung keines großen Hotels einen Trinker in ihren Diensten.
    Nein – und Rittmeister von Prackwitz stand auf und fing an, in der Rollkammer auf und ab zu gehen –, dieser Fall Studmann lag anders. Irgend etwas ganz Unerwartetes war geschehen, etwas, das man schon erfahren würde, über das sich aber jetzt den Kopf zu zerbrechen sinnlos war. Es kam nur darauf an, welche Folgen diese Sache für Studmann haben würde. Aus dem Benehmen des Personals schloß Prackwitz, daß diese Folgen sehr unangenehm sein würden. Er warentschlossen, den Freund, solange er nicht selbst verhandlungsfähig war, zu verteidigen – mit Zähnen und Krallen!
    Mit Zähnen und Krallen! wiederholte der Rittmeister bei sich, sehr zufrieden mit dieser kriegerischen Formulierung.
    Wenn aber, dachte er weiter bei sich, alles nichts hilft (und man kennt ja diese kalten Geldsäcke), so ist vielleicht auch das nicht so ganz übel. Ich könnte ihn vielleicht überreden …
    Jetzt denkt der Rittmeister an seinen einsamen Weg durch die Lange Straße zur Schnittervermittlung. Er denkt daran, wie viele Wege er seit seiner Militärzeit einsam marschiert ist, immer jenen einen bewußten imaginären Punkt vor Augen. Er erinnert sich, wie oft ihm ein Kamerad gefehlt hat. In der Kadettenanstalt, beim Kommiß, im Kriege – stets hatte es Kameraden gegeben, mit denen man schwatzen konnte, Kerle gleicher Gesinnung, gleicher Interessen, gleicher Ehre. Seit dem Kriege war es mit alldem vorbei, jeder war für sich allein; es gab keinen Zusammenhalt, keine Gemeinsamkeit mehr.
    Als Gast würde er aber nicht kommen mögen, überlegt der Rittmeister und denkt weiter nach. Warum soll er sich denn etwas vormachen? Heute früh auf der Schnittervermittlung hat er einen Fehler gemacht, und als er dem

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