Wolf unter Wölfen
In den Gastzimmern der Badeorte, auf den Böden der Mietswohnungen vergaß sie seine Bilder, die Kohlezeichnungen lagen herum, verkamen.
Manchmal, mitten aus einer Arbeit heraus, aus den Sorgen heraus, aus dem sehr engen Gefängnis ihres eigenen Ich heraus, konnte sie hochsehen und solch Bild an der Wandbetrachten, als sähe sie es zum erstenmal. Irgend etwas wollte sie dann leise anrühren, als rege sich etwas im Schlaf – dem Erwachen zu. Halte ein! Halte doch ein! Es war sehr hell, ein Baum etwa, in der Sonne, in der Luft, gegen einen klaren Sommerhimmel. Halte doch ein! Aber der Baum schien sich zu heben, Wind wehte sachte, der Baum bewegte sich – flog er? Doch, die ganze Erde flog, die Sonne, Spiele von Licht und Luft, leise, eilig, zart – halte doch ein, grimmige, dunkle Erde!
Sie trat näher heran. Der Vorhang vor dem Geheimnisvollen wehte. Es war Leinwand, riechende Ölfarbe, Erdenstoff, fester, fester Erdenstoff. Aber Wirbel erklangen, Wind wehte, der Baum bewegte die Äste, das Leben floß, wehte – fliege, halte nicht ein, fliehe und fliege, wie wir armen Irdischen fliehen und fliegen. Umsonst hängen wir die Bleigewichte der Sorgen, der Hoffnungen, der Entwürfe an unsere Sohlen, uns der Stunde zu verhaften. Wir fliehen dahin, wir rinnen ins Meer …
Von einem Gelähmten gemalt, erschaffen aus dem Nichts. Freilich von einem Manne, der Bewegung kannte und liebte, der jetzt nichts mehr ist als ein schwerfälliger Leib, den man aus dem Bett in den Stuhl wälzt – nein, halte nicht ein, wir fliehen, wir fliegen.
Ja, es rührt sich sachte in der betrachtenden Frau. Eine Ahnung will sie überkommen, als hätte sie hier ihren Mann unvergänglicher, strahlender, rascher als je zuvor – doch sie schüttelt es ab, sie sinkt wieder in Schlaf. Leinwand und Farbe, eine plane Fläche nach bestimmten Regeln bunt gemacht, nichts von Bewegung, nichts von dem Manne!
Weiter in die Bäder! Zu noch mehr Ärzten! Was sagt denn die Welt? Es hat zwei oder drei kleine Ausstellungen gegeben – man hörte nichts darüber, man sah nichts davon – nie wurde ein Bild verkauft. Gottlob, daß man das wenigstens nicht nötig hatte! Und wer sie dann und wann auf den ruhelosen Reisen durch die Heilstätten der Erde doch zu finden wußte: irgendein junger Mensch, schweigsam, ungelenk, düster, oderein anderer, plötzlich in einen Wortstrom ausbrechend, mit fahrigen Bewegungen, eine neue Zeit kündend – der machte ihr nicht grade Mut, seine Schildereien wichtig zu nehmen!
»Komm, der Tag ist so schön, laß uns ausfahren!«
»Das Licht ist gut. Laß mich noch malen, eine Stunde.«
»Ich weiß gar nicht mehr, wie es draußen ist. Ich komme um vor Lufthunger!«
»Gut, setze dich ans Fenster, mach es auf – ich wollte schon lange dich einmal malen …«
So war er, freundlich, heiter, nie böse – aber nicht zu erschüttern. Sie redete, sie bat, wurde zornig, wieder gut, hinterhältig, um Verzeihung bittend – er war wie ein Feld, über das Wind, Gewitter, Sonnenschein, Nachtfrost, Regen dahingehen. Es nimmt alles auf, es scheint sich nicht zu ändern, am Ende ist eine Ernte da.
Ja, eine Ernte war da. Aber bis sie reifte, geschah noch etwas anderes, etwas, um das sie zwanzig Jahre gekämpft, gehadert, gerungen, gefleht hatte: eines Tages stand er da! Er ging ein paar Schritte, zögernd zuerst, mit demselben ein wenig beklommenen, um Verzeihung bittenden Gesicht wie vor zwanzig Jahren. »Ich glaube wirklich, es geht!«
Wie sie gekommen, war die Krankheit geschwunden, unbegreiflich, warum. All ihr Eifer, all ihr Sorgen hatten diesem Fortgang nichts dazutun können; menschlichem Einwirken, ihrem Einwirken war dies alles entrückt – es war zum Verzweifeln!
Inzwischen war ein halbes Leben – und der bessere Lebensteil – verronnen. Sie stand Anfang der Vierzig, einen fünfundvierzigjährigen Gesandtschaftsattaché neben sich – verronnen, verwelkt, vorbei! Ein tätiges Leben, ein eiferndes Leben, ohne Rast, voller Pläne, voller Hoffnungen … Nun sind die Hoffnungen erfüllt, und es bleibt nichts mehr zu hoffen. Alle Pläne, alle Sorgen sind gestaltlos geworden. Ein ganzes Leben zerrann zu Staub in dem Augenblick, da Edmund aufstand und ging!
Unbegreifliches Frauenherz: »Da steht dein Bild, Edmund.Du hast nur noch ein paar Striche zu tun – willst du nicht –?«
»Bilder, ja, Bilder …«, sagte er gedankenlos, sah es flüchtig an und ging hinaus, schon ganz draußen.
Nein, er hatte keine Zeit, eine halbe
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