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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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elfe.«
    »Verwarten Sie man nich bloß noch de Zwölfe«, sagt die Thumann wie eine warnende Schicksalsgöttin in der Eingangstür, und der Topf schwankt in ihrer Hand. »Um zwölf kommt der neue Dollar, und wie der Olle im Jemüsekeller jesacht hat, wird er kräftig kommen, und Berlin macht sich wieder mal schwach. Denn können Se mir ohne Wimpernklimpern so an ’ne Million Mark mehr auf den Tisch des Hauses lejen. Und Kaffee ohne Jeld is überhaupt nich!«
    Damit fällt die Tür hinter ihr zu, das Urteil ist gesprochen, und Wolfgang wendet sich zum Zimmer zurück und sagt nachdenklich-unentschlossen: »Eigentlich hat sie ja recht, Peter. Ehe ich sie wegen des Kaffees rumgeschmusthabe, ist es sicher zwölf, und wenn der Dollar wirklich steigt – was meinst du?!«
    Er wartet aber ihre Antwort nicht ab, sondern sagt halb verlegen: »Leg dich gemütlich ins Bett, ich trag die Sachen gleich zum Onkel. Und in zwanzig Minuten, spätestens in einer halben Stunde bin ich wieder hier, und wir frühstücken gemütlich Schrippen und Leberwurst – du im Bett und ich auf der Bettkante, was meinst du, Peter?«
    »Ach, Wolfi«, sagt sie schwach, und ihre Augen werden sehr groß. »Grade heute …«
    Obwohl sie heute morgen noch nicht einen Ton von dieser Sache gesprochen hatten, tat er doch nicht einen Augenblick so, als ob er sie nicht verstünde. Ein wenig schuldbewußt sagte er: »Ja, ich weiß, es ist dumm. Aber es ist wahrhaftig nicht meine Schuld. Oder fast nicht meine Schuld. Alles ging verquer heute nacht. Ich hatte schon ganz schön gewonnen, aber dann hatte ich plötzlich die wahnsinnige Idee, Null müsse gewinnen. Ich verstehe mich selbst nicht mehr …«
    Er hielt inne. Er sah den Spieltisch vor sich, weiter nichts als ein abgegriffenes, grünes Tuch, über den Eßzimmertisch eines gutbürgerlichen Zimmers gebreitet. In der Ecke stand klobig, mit Türmen, geschnitzten Rittern und Edeldamen, Knäufen und Löwenmäulern, das Büfett. Denn die Spielklubs, Spielhöllen jener Tage führten – auf der ständigen Flucht vor dem Spielerdezernat der Kripo – ein unstetes Dasein. Von einer Nacht zur andern – roch es sauer am alten Ort – mieteten sie bei irgendeinem verarmten Angestellten das Eßzimmer, den Salon. »Nur für die paar Nachtstunden – da brauchen Sie es ja doch nicht. Und Sie liegen im Bett und schlafen; was wir tun, geht Sie nichts an!«
    So kam es, daß bei jenem Oberbuchhalter, bei diesem Abteilungsvorsteher das Vorkriegszimmer, das Schwiegermutter noch ausgesucht hatte, Versammlungsort von Smokings und Jackettanzügen, Blusen und Abendkleidern wurde – ab nachts elf Uhr. In der stillen, geruhig-anständigen Straße trieben Schlepper und Spanner ihr Unwesen, sie holten dasPublikum zusammen, auf das es ankam: Provinzonkels, angesäuselte Herren, unentschlossen, wohin nun; Börsenjobber, die von dem täglichen Valutataumel noch nicht genug hatten. Der Portier hatte sein Geld und schlief fest, die Haustür mochte gehen, sooft sie wollte. In der nüchternen Flurgarderobe mit den angegrünten Messinghaken stand ein Tischchen mit dem großen Spielmarkenkasten, den ein bärtiger, traurig aussehender Hüne vom Wachtmeistertyp verwaltete. An der Tür des WC hing ein Pappschild »Hier!«. Es wurde nur geflüstert, jeder hatte ein Interesse, daß niemand im Haus »etwas« merkte. Es gab auch nichts zu trinken. Betrunkene konnte man wegen etwaigen Lärms nicht gebrauchen. Es gab nur das Spiel, Rausch genug.
    So still war es, daß man schon vom Vorplatz das Schnurren der Kugel hörte. Hinter dem Croupier standen zwei Männer in Jackettanzügen, jederzeit bereit, einzugreifen und jeden Streit durch die gefürchtete Verweisung auf die Straße, durch Ausschluß vom Spiel zu schlichten. Der Croupier trägt Frack. Aber sie sehen sich alle drei ähnlich, er und seine beiden hinter ihm stehenden Helfershelfer, diese drei Männer, ob mager oder fett, dunkel oder hell. Alle haben kalte, rasche Augen, krumme, böse Nasen wie Habichtschnäbel, dünne Lippen. Sie sprechen kaum miteinander, sie verständigen sich durch Blicke, allenfalls ein Deuten mit der Schulter. Sie sind böse, gierig, kalt – Abenteurer, Raubritter, Beutelschneider, Zuchthäusler – wer weiß das! Man kann sich unmöglich vorstellen, daß sie ein Privatleben haben, eine Frau, Kinder, die ihnen die Hand geben und »guten Morgen« sagen. Man kann sich nicht ausmalen, wie sie sind, wenn sie mit sich allein sind, aus dem Bett aufstehen, sich beim Rasieren

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