Wolf unter Wölfen
so beschweren sie sich, die Verkäuferin bedient schlecht – und sie haben eine richtige Freude, wenn einen der Geschäftsführer anschnauzt … Sich verteidigen hat gar keinen Zweck, es wird einem ja doch nicht geglaubt, daß so ein feiner Herr so gemeine Wörter gebraucht …«
»Kennen wir doch, Kindchen«, sagt die alte Frau beschwichtigend, denn die Erinnerung an manche angetane Schmach war in Petra wieder wach geworden, daß sie fast hitzig gesprochen hatte. »Das kennen wir doch alles! Glaubst du, in der Fruchtstraße ist es anders? Da ist es auch nicht anders. Und wenn es eben nicht Schuhladen ist, dann ist es Konditorei oder Eisdiele – den Letzten beißen die Hunde überall. – Aber jetzt wird es doch vorbei sein mit den Schuhen, jetzt, wo du sitzt, oder nehmen sie dich wieder, wenn du rauskommst?«
»Es war ja schon lange vorbei mit den Schuhen«, berichtet Petra. »Fast schon ein ganzes Jahr. Ich hab doch mit einem Freund gelebt, und grade heute, nein, gestern mittag wollten wir heiraten.«
»Nein so was!« wundert sich die alte Frau. »Und ausgerechnetan so ’nem Ehrentag muß die kleine Giftkröte mit ihrer Anzeige dazwischenfunken?! Nun sag mal wirklich, Kindchen, was hast du denn Schlimmes ausgefressen, daß sie dich hier gleich in Kittchenkluft gesteckt haben? Das tun sie doch eigentlich nur bei den Räuberbräuten, wo sie denken, die türmen in Zivil?! Aber wenn du nicht willst, dann laß es lieber. Angesohlt mag ich auch nicht gerne werden, und merken tu ich es allemal, wenn du schwindelst …«
So kam es, daß Petra Ledig in der Nacht zwischen ein und zwei Uhr, genau um die Stunde, da ihr Wolf endgültig den großen »Sieg« seines Lebens errungen zu haben meinte, einer ihr auch namentlich völlig unbekannten, ältlichen Frauensperson die ziemlich jämmerliche Geschichte von dem Zusammenbruch ihrer Hoffnungen erzählte und wie sie jetzt wieder ganz allein im Leben dastehe und eigentlich gar nicht so recht wisse, warum und wieso.
Die alte Frau hörte sich das alles ganz geduldig an, nickte mal mit dem Kopf, schüttelte mal kräftig und sprach: »Das kennen wir alles!« und: »Das gibt es!« oder auch: »Das sollte man dem lieben Gott mal erzählen, aber der hat sein Geschäft in den letzten fünf Jahren auch überbekommen und hört auf dem Ohre schlecht …«
Als aber Petra fertig war und still auf die Kranke am Boden starrte oder auch nur vor sich hin oder auf all die Trümmer, deren Umfang ihr erst jetzt durch die eigene Erzählung so recht bewußt geworden war, so daß sie wirklich überhaupt nicht mehr verstand, warum und wieso und weshalb und wohin – da legte ihr die alte Frau sachte die Hand auf den Arm und sagte: »Kindchen – also Petra heißt du, und er hat immer ›Peter‹ zu dir gesagt –?«
»Ja«, sagte Petra Ledig ziemlich trostlos.
»So werd ich auch Peter zu dir sagen, wenn er’s auch nicht verdient hat. Und ich bin die Frau Krupaß, Mutter Krupaß, sagen sie zu mir in der Fruchtstraße, und so sollst du auch sagen …«
»Ja«, antwortete Petra.
»Und was du mir erzählt hast, das glaub ich dir sogar, und das ist mehr, als dir der Herr Polizeipräsident selber sagen kann. Wenn’s aber so ist, wie du sagst (und es ist so, das sehe ich dir an), dann kommst du heute oder morgen schon wieder raus – denn was können sie dir wollen? Gar nichts können sie dir wollen! Gesund bist du, und auf den Strich bist du nicht gegangen, und auf dem Standesamt hängst du auch – vergiß bloß nicht, das denen zu erzählen, Standesamt zieht bei denen immer …«
»Ja«, sagte Petra.
»Nun also, heute oder morgen kommst du raus, und ein paar Kledaschen von der Wohlfahrt werden sie ja auch noch für dich finden – also raus kommst du – und was machst du dann?«
Petra bewegte nur ungewiß die Achseln, aber sie sah die Sprecherin jetzt schon recht aufmerksam an.
»Ja, das ist die Frage. Alles andere ist Blech, Kindchen. Zurückdenken und Sichgrämen und Bereuen – das alles ist Blech. Was machst du, wenn du rauskommst – das ist die Frage!«
»Freilich«, sagte Petra.
»Für Gas oder den Landwehrkanal bist du ja nicht, wie du aussiehst, und dann möchtest du das Wurm wohl ganz gerne kriegen, was?«
»Das will ich!« sagte Petra entschlossen.
»Und wie ist es denn mit den Schuhen?« erkundigte sich Mutter Krupaß. »Willst du denn das wieder anfangen?«
»Ich krieg ja nicht wieder Stellung«, sagte Petra. »Ich habe kein Zeugnis über die letzte Zeit, und aus der
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