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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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den Kälbern heute: überall und nirgend …«
    »Habe ich wirklich solche Augen?« fragte Petra neugierig, denn auf den Gedanken, daß sie andere Augen als die andern haben könnte, hat sie ihr Spiegel noch nicht gebracht, und Wolfgang Pagel hat ihr das auch noch nicht gesagt, obwohl er ihre Augen doch schon dann und wann zu fühlen bekommen hatte.
    »Wenn ich es dir doch sage!« erklärte die Krupaß. »Auf Augen habe ich gelernt in der Fruchtstraße, wo ich fünfzig, sechzig Leute gehen habe, und alle lügen sie mich an mit dem Mund, aber mit den Augen lügen, das können sie nun doch nicht! Und ich sitze hier in diesem elenden Wanzenstall und grübele und sinniere, was es mir dieses Mal einträgt, und ich möcht ja glauben, drei Monate, aber es wird schon ein halbes Jahr werden. Killich sagt auch, ein halbes Jahr, und Killich irrt sich selten und muß es wissen, denn der ist mein Rechtsbeistand …«
    Petra sieht etwas fragend drein, aber die Alte nickt energisch mit dem Kopfe und sagt: »Das kommt alles noch. Du erfährst alles zu seiner Zeit, Kindchen. Und wie du vorhin ach! gesagt hast, kannste nachher nee sagen, da mach ich mir nichts draus. Bloß, du sagst es nicht …«
    Sie sieht so sicher und so energisch und dabei doch wieder gutmütig aus, daß Petra erst einmal wirklich alle Bedenken aufgibt, die ihr bei so frommer Fügung in eine Gefängnisstrafe aufsteigen wollen.
    Frau Krupaß aber fährt fort: »Und da sitze ich also und denk: sechs Monate Kittchen sind ja soweit ganz gut, Ruhe brauchst du auch einmal wieder – aber was wird mit dem Geschäft, noch dazu in diesen Zeiten? Der Randolf ist reell, aber mit dem Rechnen ist er schwach, und jetzt, wo alles gleich in die Millionen geht, und dann bloß Schiefertafel und Kreide – das geht nicht, Kindchen, das siehst du auch ein!«
    Und Petra sieht es ein und nickt mit dem Kopf und schüttelt ihn, ganz wie es Frau Krupaß hören will, obwohl sie noch gar nicht klarsieht.
    »Ja, da sitze ich also und grübele über Stellvertreter, was ein schönes Wort ist, bloß, daß sie alle klauen wie die hungrigen Raben, und keiner denkt an die olle Frau im Kittchen. Da aber kommst du nun rein, Kindchen, und ich seh dich und deine Augen. Und ich seh ja, was mit euch beiden los ist, und ich hör ja, was sie dir vorschmeißt – und dann die Attacke auf mich und das Ziepen an den Haaren und das In-Decken-Wickeln – und alles ordentlich gemacht, ohne Zorn und doch nicht wie Heilsarmee …«
    Petra sitzt ganz still und verzieht nicht das Gesicht. Aber es tut einem jeden Menschen gut, wenn sein Tun ein bißchen Anerkennung findet, und einem geschlagenen, herumgestoßenen Menschen tut es besonders gut.
    »Ja, da habe ich gedacht, die ist richtig, die wär was für dich. Aber so was steckt natürlich in Kittchenkluft, so was wird nicht gereicht. Das mach dir bloß ab, Mutter Krupaß. Die flickt noch Hemden, wenn du schon längst wieder draußen bist. – Und dann hör ich, was du erzählst, und es ist ja wohl nicht die Möglichkeit, denke ich, das Kind müssen sie dir ja direkt aus dem Himmel geschickt haben in deine Verlassenheit …«
    »Mutter Krupaß!« sagt Petra zum zweitenmal.
    »Na ja, natürlich Mutter Krupaß, wie denn sonst?« sagt die Alte ganz vergnügt und schlägt Petra derb aufs Knie. »Hab ich dir vorhin ordentlich Saures gegeben, was?! Na, laß man, das macht nischt. Mir haben sie in meiner Jugend so viel Saures gegeben und später auch noch, nicht zu knapp, wie die Jungen im Krieg gefallen sind, und mein Oller hat sich aus Schwermut aufgebammelt. Aber nicht bei mir in der Fruchtstraße, da war er schon in Dalldorf, was jetzt Wittenau heißt – laß man, denk ich, sauer macht lustig …«
    Sie lehnt sich vor, sie sieht Petra mit ihren überbuschten Augen an. »Aber
sehr
lustig bin ich nun auch wieder nicht, Kindchen, das verstehst du? Das sieht man bloß so aus – im ganzen finde ich den Betrieb ziemlich belämmert …«
    Und Petra nickt, vollständig einverstanden, mit dem Kopf, und ihr ist ganz klar, daß mit dem Betrieb nicht das Polizeipräsidium Alexanderplatz gemeint ist. Sie versteht vollkommen die Einstellung der Mutter Krupaß, daß man das Leben ziemlich belämmert finden kann und doch nicht den Kopf hängenläßt. Sie hat ja eine ziemlich ähnliche Einstellung, und wenn man solche Sympathie entdeckt, ist man immer erfreut.
    »Jaha – aber den Betrieb führ ich darum doch weiter, der hält mich lebendig. Und wenn man sich nicht lebendig hält

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