Wolf unter Wölfen
Beschimpfungen, die sie nur wußte, hatte sie Petra ins Gesicht geschleudert; nach ihr speiend, hatte sie mit einem Jauchzen bösesten Triumphes daran erinnert, wie sie einmal von ihr aus einer Autotaxe herausgeholt worden war –: »Weg von dem feinen Pinkel, und dein Schirm ging auch noch flöten, du Aas!«
Mechanisch hatte Petra getan, was zu tun war: hatte ein bißchen Wasser gegeben, einen Umschlag auf die Stirn gelegt, ein Handtuch über den Mund, das doch immer wieder zurückgestoßen wurde. Wie sehr auch die andere schalt und schimpfte, höhnte und zu verletzen trachtete, es traf sie nicht mehr, wie auch die stiller werdenden Geräusche der Stadt nach Mitternacht sie nicht mehr betrafen. Die Stadt draußen, die Feindin hier drinnen – beide gingen sie nichts an.
Ein Gefühl äußerster Verlassenheit hatte sie mit seinem Eiseshauch angeblasen und alles in ihr erstarren lassen. Am Ende war jeder ganz für sich allein – was die andern taten, sagten, trieben, es war nichts. Einen einzelnen, einzigen Menschen auf sich, schwingt die Erde durch die Ewigkeiten von Zeit und Raum ihre Bahn, immer nur einen einzigen allein auf sich!
So sitzt Petra, denkt und träumt, Petra, unverehelichte Ledig. Sie beweist ihrem Herzen, daß sie den Wolf nicht wiedersehen wird und daß es so sein muß und daß dies gerade die Ordnung ist und daß sie sich damit zufriedenzugeben hat. So wird sie in den kommenden Tagen und Wochen noch manches Mal sitzen und denken, träumen und beweisen. Wenn auch Liebe, die sich sehnt, sich nichts beweisen läßt, etwas wie Trost, wie eine leiseste Erinnerung an Glück liegt doch schon darin, daß sie so sitzen und träumen kann.
Darum ist Petra beinahe unwillig, als sich eine Hand aufihre Schulter legt und eine Stimme sie ihren Träumen entführt mit den Worten: »Du, Kittchen, erzähl doch was! Ich kann nicht schlafen. Mein Kopf tut mir weh, so hat mich deine Freundin an den Haaren gerissen, und ich muß auch immer an mein Geschäft denken. An was denkst du denn?«
Es ist die dicke, ältliche Frau vom unteren Bett, über die vorhin die Hühnerweihe herfiel. Sie rückt sich einen Schemel neben Petra, sieht das Mädchen mit ihren dunklen, mäuseflinken Augen musternd an und flüstert, des Alleinsitzens und Grübelns müde, mit einem Kopfdeuten auf die Kranke: »Die kann ja angeben wie eine Tüte Mücken! Ist es denn wahr, was sie von dir sagt, Kittchen?«
Plötzlich ist Petra zufrieden, daß die Frau sie angesprochen hat, daß es etwas Unterhaltung in der langen Nacht gibt. Auf einmal gefällt ihr die Frau gar nicht schlecht, schon darum, weil sie ohne Haß auf die Kranke schaut, die ihr doch Schmerzen genug gemacht hat.
Darum antwortet Petra ganz willig: »Manches ist wahr, und manches ist nicht wahr.«
Die Frau fragt: »Aber daß du auf den Strich gehst, das ist doch nicht wahr –?«
»Ein paarmal …«, fängt Petra zögernd an.
Aber die alte Frau hat sofort verstanden. »Najadoch, najadoch, meine Kleene!« sagt sie begütigend. »Ick bin doch auch in Berlin großgezogen! Ich wohn doch in der Fruchtstraße. Ich habe doch auch diese Zeiten mitgemacht, was Zeiten sind, wie es noch keine Zeiten gegeben hat! Ich kenn doch die Welt, und Berlin kenn ich auch! Du hast dir mal einen angelacht, wenn du Kohldampf gehabt hast – was?«
Petra nickt.
»Und das nennt so ’ne Zicke auf den Strich gehen! Und wegen so was verpfeift sie dich! Sie hat dich doch verpfiffen?«
Wieder nickt Petra.
»Na also – das ist so ein futterneidisches Biest – das siehste schon an der Neese! Welche, die so ’ne dünne Neese haben,die sind immer scharf und gönnen keiner andern nichts! Da mußt du dir nichts bei denken, die kann nichts dafür, daß sie doof ist, die hat sich ihre Neese auch nicht ausgesucht. – Und was tust du sonst?«
»Schuhe verkaufen …«
»Na also, das kenn ich doch, das ist auch so ’n Brot mit Tränen für die jungen Dinger. Da gibt es ja solche Lebegreise, wenn die das Fell juckt, dann laufen sie von einem Schuhgeschäft ins andere, und immer bloß Schuhe probieren, und dann die jungen Mädchen mit der Schuhspitze piken – na, das kennst du natürlich alles auch … Oder –?«
»Ja, solche gibt es«, sagt Petra, »und wir kennen sie auch schon. Und die wir nicht kennen, denen sehen wir es an, und dann will keine ans Bedienen. Und manche sind noch schlimmer, die piken nicht nur, die reden auch noch dazu, so gemein wie kein Mädchen vom Strich … Und wenn man sich das verbittet,
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