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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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ältesten Bände aus dem Fach. Von dem braunen, fleckigen Papier spricht zu ihm eine Anordnung, die verbietet, einem Dienstboten oder Instmann mehr als zwei Schock Krebse in der Woche zum Essen zu geben. Er lacht. Heute jagt man die Badenden aus den Teichen und schützt so den Krebs vor den Menschen; damals schützte man die Menschen vor den Krebsen!
    Er stellt den Band auf seinen Platz zurück und hat etwas unter Augenhöhe die Schnittfläche einer andern Bandreihe des »Amtlichen Kreisblattes«. Aus dem einen Schnitt sieht die Ecke eines Blattes heraus. Er faßt sie mit zwei Fingern, und nun hat er ein Blatt Schreibmaschinenpapier in den Händen, nur zu einem Viertel vollgetippt. Mit gekrauster Stirne fängt er an zu lesen:
    »Liebster! Allerliebster! Einziger!!!«
    Er wirft einen Blick auf den Band, aus dem er das Blatt nahm. Es ist das Kreisblatt aus dem Jahre 1900. Pagel nickt beruhigt. Lächelnd liest er den Brief weiter. Er bekommt etwas von der Patina, die den Liebesbriefen von vor hundert Jahren anhaftet, den Briefen von Liebenden, deren Stimmen verklungen, deren Liebe erloschen ist, die kalt in ihren Gräbern liegen. Er liest bis zu dem Namen »Violet«.
    Dies ist kein häufiger Name, er las ihn bisher nur in Büchern. Erst in den letzten Tagen hörte er ihn öfters, meist in der Form »Weio«. Immerhin, in manchen Familien vererben sich Namen … Er fährt mit dem Finger vorsichtig über die Schrift, er sieht die Fingerkuppe an, ein leichter violetter Schimmer überzieht sie –: die Schrift muß frisch sein.
    Rasch nimmt er den Deckel von der Maschine, er tippt mit Widerstreben die Worte: »Liebster! Allerliebster! Einziger!!!« – (auch er hörte einmal solche Worte oder ähnliche,er mag nicht daran denken). – Es ist kein Zweifel, der Brief ist auf dieser Maschine geschrieben. Ganz kürzlich geschrieben: das große E hält nicht völlig mehr Reihe …
    Sein erster Impuls ist, den Brief zu zerreißen, dann, ihn wieder in den Band zurückzustecken –: Ich weiß von nichts. Ich mag von diesen Dingen nichts hören und nichts sehen.
    Aber: Ruhe, alter Junge, nur Ruhe! Diese Weio ist ein blutjunges Ding, sechzehn, vielleicht erst fünfzehn. Es kann ihr nicht egal sein, daß ihre Briefe auf öffentlichen Büros rumreisen. Ich bin verpflichtet …
    Pagel tut erst einmal wieder den Deckel über die Schreibmaschine, faltet den Brief sorgfältig zusammen und steckt ihn in seine Innentasche. Das ist kein Mißtrauen gegen Studmann. Aber er ist entschlossen, erst von diesem Brief zu reden, wenn er sich alles genau überlegt hat. Vielleicht wird er überhaupt nicht von ihm reden, jedenfalls muß er sich erst über alles klar sein. Es ist nicht angenehm, er wäre gerne weiter gedankenlos auf dem Büro hin und her gegangen. Aber das Leben ist so, es fragt nicht, ob es uns paßt. Schon sitzen wir in einer Aufgabe drin.
    So geht denn Pagel im Büro gedankenvoll hin und her und raucht. (Wenn nur wenigstens Studmann nicht gleich kommt!)
    Erste Frage: Ist der Brief überhaupt ein Brief? Nein, es ist der Durchschlag eines Briefes. Zweite Frage: Kann sich der Absender diesen Durchschlag angefertigt haben? Die Absenderin? Sehr unwahrscheinlich! Einmal ist dies kein Brief, den man so leicht auf der Schreibmaschine schreibt – auf der Schreibmaschine sieht so was ganz verflucht aus, während es mit der Hand geschrieben vielleicht grade noch geht. Zweitens ist es ganz unwahrscheinlich, daß Fräulein Violet ihre Liebesbriefe ausgerechnet auf dem Gutsbüro schreibt. Drittens würde sie den Durchschlag nie auf dem Büro verwahren. Wozu überhaupt von so was ein Durchschlag?! Folgerung: Dieser Durchschlag ist also aller Wahrscheinlichkeit nach der Durchschlag einer Abschrift von einem Brief des Fräulein Weio.
    Uff –!
    Für späteres Nachdenken: Wo ist die Abschrift selbst? Dritte Frage: Kann der Empfänger sich Abschrift und Durchschlag gemacht haben? Auch hier ist der Zweck solcher Abschrift nicht einzusehen. Der Empfänger hatte ja das Original! Nein, es ist ganz klar, ein Dritter, ein Unberechtigter muß sich diese Abschrift gemacht haben. Wenn man das erst weiß, so ist es nicht schwer zu raten, wer es gewesen ist. Er muß hier auf dem Büro regelmäßig Zugang gehabt haben, sonst hätte er hier nicht tippen können, sonst hätte er hier nichts aufbewahrt. Nein, sagt sich Pagel, es kann kein Zweifel sein, nur dieser häßliche kleine Meier, den die Leute hier Negermeier nennen, kann es gewesen sein.
    Ohne weiteres fällt

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