Wolf unter Wölfen
Wolfgang die nächtliche Abreise des kleinen Meier ein, als er erschreckt mit dem Ruf »Er schießt mich tot« aus dem Schlaf aufwachte. Studmann und er haben an eine Eifersuchtsgeschichte mit diesem roten Pausbackenengel von Geflügelmamsell gedacht, und der Rittmeister hat das akzeptiert. Also ist auch der Rittmeister ahnungslos. Es steckt irgend etwas anderes dahinter, etwas Heimliches, etwas Gefährliches – trotzdem der Meier natürlich ein Feigling ist, der sich Totschießen nur einbildet. Um einen unterschlagenen Liebesbrief schießt man so leicht keine Leute tot!
Bleibt also noch die Frage zu klären, ob man diesen Durchschlag stumm zurücklegen oder besser vernichten soll oder ob man von ihm reden muß – etwa mit Studmann? Oder gar mit diesem kleinen feurigen Fräulein Weio? Zu bedenken bleibt, daß der abgereiste Herr Meier ein anderes Exemplar dieser Abschrift mit sich führt. Aber was beweist schließlich solche Abschrift? Jeder kann sich so ein Dings auf der Schreibmaschine komponieren! Kein Name ist darin genannt, der auf irgend jemand hinweist!
Immerhin kann eine solche Abschrift ein kleines unerfahrenes Fräulein umschmeißen! Aber weiß diese Violet nicht vielleicht doch schon von dem unterschlagenen, abgeschriebenen Brief –? Der Empfänger des Briefes muß davon wissen– wie sonst hätte Meier in jener Nacht von einem Rascheln am Fenster so erschreckt werden können –?! Ja, denkt Pagel weiter, wenn man es nur noch genau wüßte, was Meier damals gerufen hat: Er will mich totschießen, oder: Er will mich wieder totschießen –? Wieder totschießen, das würde heißen, daß der Herr Meier schon so etwas wie einen Erpressungsversuch gemacht hat (man schreibt sich einen solchen Brief nicht aus rein literarischem Interesse ab!) und daß ihm darauf etwas heftig, etwa mit der Waffe in der Hand, geantwortet worden ist …
Pagel grübelt hin und Pagel grübelt her. Aber er weiß nicht mehr, was der Meier, aus dem Schlaf hochschreckend, gerufen hat.
Herr von Studmann tritt ein, er ist zurückgekommen von seiner Unterredung mit Frau von Prackwitz. Pagel wirft einen Blick auf Studmanns Gesicht: auch Herr von Studmann sieht ziemlich gedankenverloren aus. Er könnte ja nun fragen, was Meier damals gerufen hat, aber besser fragt er nicht. Eine solche Erkundigung würde Gegenfragen zur Folge haben, vielleicht würde er von dieser Briefabschrift erzählen müssen – und das mochte er nicht. Der Empfänger, wer es auch immer sein mochte, war gewarnt, und das gnädige Fräulein war vermutlich auch gewarnt. Also hat Pagel beschlossen, erst einmal gar nichts zu sagen. Er hat keine Lust, sich Sorgen zu machen, sich in Liebesintrigen hineinziehen zu lassen. Es wird nichts versäumt, wenn dieser Brief erst einmal steckenbleibt, wo er steckt, nämlich in seiner Tasche!
9
Studmann ist so sehr in Gedanken, daß er gar nicht merkt, Pagel hat trotz seiner Bitte noch nicht gegessen. Als sich Pagel nun ihm gegenüber hinsetzt, eine Tasse Tee einschenkt, Brot nimmt, sieht Studmann hoch und sagt verloren: »Ach, Sie essen noch mal, Pagel?«
»Ich hatte noch nicht gegessen, Meister«, antwortet Pagel.
»Ach nein, natürlich nicht, entschuldigen Sie! Ich dachte grade über etwas nach.«
Und kauend gibt sich Studmann wieder seinem Nachdenken hin.
Nach einer Weile fragt Pagel vorsichtig: »Und über was denken Sie nach?«
Überraschend heftig antwortet Herr von Studmann: »Daß der Friede der Felder noch mehr Scheibe ist, als wir annahmen, Pagel.« Sachter: »Sorgen haben die Leute –!« Und abbrechend: »Aber ich glaube, es ist Ihnen nur lieb, wenn ich Sie mit diesem Kram verschone.«
»Natürlich«, sagt Pagel, und beide versinken über Butterbrot und Aufschnitt neu in Nachdenken.
Was Herrn von Studmann angeht, so hat auch er jetzt einen Brief in der Tasche, einen Brief, der von der gnädigen Frau für einen ziemlich harmlosen Geschäftsbrief angesehen wurde. Herrn von Studmann aber erschien er recht heimtückisch und gemein. Lieber trüge er eine Handgranate in der Tasche. Aber viel mehr beschäftigt ihn diese andere Geschichte – Frau von Prackwitz ist immer noch eine recht gut aussehende Frau, vor allem hat sie schöne Augen. In diesen schönen Augen hatten Tränen gestanden, als sie Herrn von Studmann abgebrochen berichtete … Die Augen waren von den Tränen nicht häßlicher geworden … Ein bißchen muß sich eine Frau, die sich vor einem rappelköpfischen Mann, einer auf Abwegen befindlichen Tochter
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