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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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Fritz, den sie sehen muß …
    Sie läuft durch den Garten, immer weiter, einen Grasrain zwischen den Feldern hinauf. Ihre Brust keucht. Es ist, als müßte sie fortlaufen von alldem, von sich und allem. Aber am Ende bezwingt ihr Körper das Grausen doch, und sie wirft sich hin, wo sie steht, und sieht in den gestirnten, sehr dunklen Nachthimmel, auf dessen unfaßbar tiefem Grund die Sterne um so heller funkeln. Endlich schläft sie ein …
    Aber sie kann nur ganz kurz geschlafen haben, die Sterne sind nicht weitergerückt, seitdem sie die Augen schloß. Es ist ihr, als habe sie etwas sehr Leichtes, Heiteres geträumt, aber sie weiß nichts mehr davon, ein Gefühl nahender Gefahr hat sie geweckt. Doch es ist nichts von Gefahr zu sehen, es istnur Stille, ländliche Nacht um sie. Jetzt ist auch das Dorf schlafen gegangen, kein Laut ist mehr von dort zu hören.
    »Nein, es ist keine Gefahr«, sagt sie, ihr pochendes Herz beruhigend. Aber plötzlich fällt ihr ein, daß sie allein auf den Feldern und daß ihr Rufen zu fern ist, um einen Menschen im Dorf zu wecken … Und sie, die hundertmal zu Nachtzeiten draußen in Feld und Wald ohne den Gedanken auch nur an Angst gewesen ist, sie packt plötzlich feige, zähneklappernde Angst, er könne kommen in seinem weißen Hemd, den Feldrain entlang, und wieder seine Hand auf ihr Herz legen wollen. Ich könnte mich ja nicht wehren! denkt sie.
    Und fängt wieder an zu laufen; sie läuft fort von der Villa, aus der er ihr nachkommen kann, sie läuft gegen die dunkle Baummasse des Parks zu. Sie überklettert den Zaun, eine Bahn ihres Kleides reißt scharf an einer Nagelspitze durch. Vornüber taumelt sie in das Gras, aber sie springt gleich wieder auf ihre Füße und läuft hinein in den Park, dem Schwanenteich zu, an den hohlen Baum … Sie faßt hinein in die Höhlung, aber es liegt kein Brief darin; so hat er ihn also schon herausgenommen und ist auf dem Wege zu ihr …
    Da läuft sie wieder, aber schon im Anlaufen fällt ihr ein, daß er den Brief gar nicht bekommen hat, daß der Brief noch in Räders Besitz ist, und eine rasende Wut gegen den Bengel Räder faßt sie … Aber sie vergeht, denn während sie weiterläuft, muß sie darüber nachdenken, warum sie noch immer läuft. Es hat ja keinen Zweck mehr, zu laufen, natürlich ist er überhaupt nicht im Dorf, natürlich kehrt man nach einer solchen Waffenvergrabung zu seinem Truppenteil zurück und macht Meldung, daß alles gut abgegangen ist, statt auf Liebesabenteuer in die Dörfer zu gehen. Aber trotzdem sie weiß, daß sie nicht mehr zu laufen braucht, läuft sie weiter, als hetze sie irgend etwas, und sie hält erst inne, als sie durch die Bäume ein helles, gelbes Lichtrechteck schimmern sieht …
    Sie ändert ihren Schritt in vorsichtigstes Schleichen und nähert sich katzenleise dem hellen Fenster. Es steht weit offen,aber die Gardinen sind vorgezogen. Violet überquert den Weg, tritt auf den schmalen Grasstreifen unter dem Fenster und schiebt die Gardinen vorsichtig auseinander. Sie ist so verwirrt diese Nacht, daß ihr nicht einen Augenblick der Gedanke kommt, sie tue etwas Unzulässiges, ja nur Ungewöhnliches. Nachdem sie einen ersten musternden Blick in das Zimmer geworfen hat, schiebt sie den Kopf ganz durch die Gardinen, und so bleibt sie beobachtend stehen: mit dem Leib draußen in der Nacht, aber mit dem Kopf in der hellen Stube.
     
    Am Tisch sitzt der junge Wolfgang Pagel und schreibt einen Brief. Es war ein ziemlich zerfahrener Tag gewesen, er hatte ihn unlustig und traurig gemacht, auf diese Art schmeckte auch Landarbeit nicht. Am Vormittag der Krakeel mit dem Rittmeister, der ihn hinauswarf; dann das Durcheinander mit den Zuchthäuslern; die zugemauerte Tür mit dem weißen Kreuz, das wieder rot überpinselt werden mußte; der verdrehte Diener Räder mit seinem Karren voller Gänseleichen; der geheimnisvoll im Schloß beratende Studmann – alles war überreizt, zerfahren, so wenig ländlich wie nur denkbar gewesen!
    Als er dann schließlich ärgerlich sein einsames Nachtessen hinuntergewürgt hatte – Studmann war durch den Diener Elias entschuldigt worden –, hatte er mit seinem Abend dagestanden, unfähig zu schlafen, unlustig, noch etwas zu tun. Es war ihm sogar der Gedanke gekommen, in den Gasthof zu gehen; man konnte ein bißchen trinken, um sich aufzumöbeln, und vielleicht einen kleinen Skat dreschen … Schließlich hatte er die Idee gehabt, ins Dorf zu bummeln und nach der Sophie Kowalewski

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