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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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Er ist fortgegangen, um ihren Brief zu besorgen. Sie kann beruhigt hinauf in ihr Zimmer gehen: ist der Leutnant heute nacht in Neulohe, kommt er auch unter ihr Fenster. Der ordentliche Räder hat beim eiligen Weggehen vergessen, das Licht auszuknipsen.
    Violet will sich schon wieder aufrichten, als die Tür am andern Ende der Kammer sich öffnet. Es ist komisch, und es ist ein bißchen unheimlich: sie hier, im Dunkeln mit der ganzen Nacht um sich, sieht unbemerkt auf eine kleine helle Bühne, die lautlos ist. Und komisch und dabei doch ein wenig unheimlich ist auch der Anblick, der sich ihr bietet: wer jetzt sorgfältig die Tür schließt, ist der Diener Hubert Räder. Aber nicht mehr der förmliche junge Mann in grauer Livree, sondern etwas Lächerliches in einem übermäßig langen, weißen Nachthemd mit bunter Borte. Über diesem weißen Engelsgewand aber sitzt der graue, fischige Kopf mit den blicklosen Augen – und seit heute abend kann Violet diesen Kopf nicht mehr dumm und albern finden, sondern ein leises Grauen erfüllt sie …
    Nachdem der Diener Räder die Tür sorgfältig geschlossen hat, geht er zum Schrank in der Ecke. In seiner Hand trägt er ein Glas mit einer Zahnbürste. Er schließt den Schrank auf und setzt das Glas mit der Bürste hinein … So sind die Menschen! Nachdem Hubert Räder heute abend vielleicht doch eine ungewöhnliche Sensation erlebt hat, etwas, das man vielleicht die Probe auf einen Mord nennen kann, zieht er sich wie alle Abend ein Nachthemd an und putzt sich die Zähne … Er ist nicht immer ein Mörder, meistens ist er nur ein kleiner, ganz gewöhnlicher Bürger, das macht ihn so gefährlich! Einen Tiger erkennt man an seinen Streifen, aber ein Mörder putzt sich wie alle andern die Zähne, er ist unkenntlich.
    Und nun soll Violet etwas noch Seltsameres sehen …
    Aber Violet beobachtete jetzt nicht sehr, sie denkt auch nicht weiter über den Diener Räder nach, sie rechnet …
    Höchstens fünf Minuten habe ich an der Tür gelauscht, rechnet sie. Dann bin ich gleich hier rausgegangen. Höchstens drei Minuten habe ich dann am Küchenausgang gestanden. Hubert hat noch abzudecken gehabt – das hat er getan, während ich gute Nacht sagte. Dann das Geschirr wegsetzen. – Aber er kann gar nicht aus dem Haus gewesen sein! Sich ausziehen, waschen, Zähne putzen – und mein Brief? Mein Brief –?!
    Mein Brief! möchte sie schreien und gegen die Scheibe schlagen und ihn zurückfordern. Es ist nicht nur die Scheu, das Haus jetzt aufmerksam zu machen, es ist nicht nur die Abneigung gegen eine langwierige, alberne Verhandlung mit dem verschrobenen, verlogenen Kerl, die sie zurückhält.
    Ach, laß den Brief! denkt sie plötzlich ganz ruhig. Ich brauche ihn gar nicht, ich finde Fritz auch so … Er wird ihn unterschlagen haben, nicht um ihn den Eltern zu bringen, nein, um wieder einmal eine Belohnung zu verlangen!
    Sie sieht sich dastehen im Dunkeln und auf ihn warten. Sie fühlt die Hand auf ihrem Herzen, die kalte, unmenschliche Hand, und wieder spürt sie etwas von dem Geschmack des Grauens im Munde. Wenn ich es Fritz sage, schlägt er ihntot; Fritz hat den kleinen Meier schon wegen viel weniger totschlagen wollen … Aber sie spürt, daß sie es Fritz nicht sagen wird, daß dies für Fritz immer ein Geheimnis bleiben muß, es gehe aus, wie es wolle. Eigentlich müßte sie ja nun erschrecken, daß sie mit dem Räder zusammen ein Geheimnis hat. Aber es erschreckt sie nicht. Eine düstere Verführung liegt in dieser bösen Dienerhand, sie versteht es nicht, aber sie fühlt es …
    Während ihr all dies durch den Kopf schießt – und es vergeht ja kaum eine Sekunde über diesen Erwägungen und Befürchtungen –, ist der Diener Hubert Räder am Fußende des Bettes niedergekniet. Da hockt er in seinem langen weißen Nachthemd, die Hände gefaltet, und betet sein Nachtgebet wie ein Kind. Aber der graue, böse Kopf hat nichts Kindliches. Violet, wie sie ihn kaum drei Meter entfernt auf dem Boden der tiefen Kellerstube, auf der kleinen, nur für sie erleuchteten Bühne knien und beten sieht gleich einem frommen Kind, ihn, der eben noch seine Hand um ihren Hals gelegt – Violet, wie ihr einfällt, ob er jetzt wohl dem lieben Gott dankt, daß er das mit ihr hat tun dürfen – Violet packt ein grausiger Lachkrampf, sie kann sich nicht mehr halten, sie springt auf und läuft gradenwegs in die Nacht hinaus, wie es kommt, ohne an die Leute zu denken, die sie nicht sehen dürfen. Und an den

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