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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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mal Angst hatte man nur, wenn man in Ruhe oder still im Graben lag. Aber wenn es dann hieß: Raus und vorwärts! – dann war man da und ging los, und alles war vergessen. Du wirst das Signal schon nicht überhören, Prackwitz. Wir haben es im Felde doch schließlich gelernt, das ruhige Warten ohne Grübeln – warum soll man es jetzt nicht können?«
    »Recht hast du!« sagte der Rittmeister dankbar, »und ich will auch daran denken! Es ist komisch, daß man jetzt nicht mehr warten kann! Ich glaube, es macht dieser blöde Dollar. Laufe, renne, schnell noch was einkaufen, hetze, jage …«
    »Ja«, sagte Studmann. »Jagen und gejagt werden, Jäger und Wild zugleich, das macht so böse und ungeduldig. Aber man braucht beides nicht. Ja …«, lächelte er, »aber nun muß ich wieder los, ganz bin ich ja auch nicht frei davon. Ich sehe da den Portier winken. Vielleicht jagt schon ein Direktor nach mir, wieso und warum ich denn eigentlich nirgendwo zu sehen bin. Und ich werde die Stubenmädchen wieder ein wenig jagen, damit die Zimmer der Abreisen um zwölf fertig sind. Also Weidmanns Heil, Prackwitz! Und wenn du heute um sieben noch in der Stadt sein solltest und hast nichts vor …«
    »Dann bin ich schon längst wieder in Neulohe, Studmann«, sagte von Prackwitz. »Aber ich habe mich wirklich unsinnig gefreut, direkt unsinnig gefreut, dich wiederzusehen, Studmann, und wenn ich mal wieder in die Stadt komme …«

4
    Das Mädchen saß allein, unbeweglich, beschäftigungslos, immer noch auf dem Bett in der Stube. Der Kopf war ein wenig gesenkt, die Linie, die aus dem Rücken über den Nacken zum Kopf führte, war nachgiebig, weich. Das kleine, klare, reinlinige Gesicht stand weich in der Luft, die Lippen waren halb geöffnet, der auf die verschabten Dielen gerichtete Blick sah nichts. Unter dem auseinandergeglittenen Mantel schimmerte das nackte Fleisch, leicht bräunlich, sehr fest. Die Luft war stickig, voller Gerüche …
    Das voll erwachte Haus marschierte schreiend, rufend, weinend, Türen schlagend und Treppen polternd durch seinen Tag. Das Leben äußerte sich hier vor allem durch Geräusche, und weiter noch durch Zersetzung, durch Gestank. In der Blechstanzerei im Erdgeschoß schrie zerschnittenes Blech auf, es klang, als schrien Katzen oder gequälte Kinder. Dann war es wieder fast still, nur die Treibriemen schnurrten und surrten auf den Transmissionen. Das Mädchen hörte eine Uhr zwölf schlagen.
    Unwillkürlich hob es den Kopf und sah nach der Tür. Wenn er nach dem »Onkel« noch einmal zu ihr hereinsah, etwa, um ihr etwas zu essen zu bringen, mußte er jetzt kommen. Er hatte so etwas von gemeinsamem Frühstück gesagt. Aber er kam nicht, sie hatte das bestimmte Gefühl, er kam nicht. Er fuhr sicher direkt zu seinem Freund. Wenn er dort Geld bekam, ging er vielleicht noch zu ihr, vielleicht aber auch direkt zum Spielen, und sie sah ihn erst gegen Morgen wieder, ausgebeutelt oder mit Geld in den Taschen. Gleichviel, sie sah ihn wieder.
    Ja, überfiel es sie plötzlich, war es denn so sicher, daß sie ihn wiedersah –? Sie hatte sich daran gewöhnt: er war immer fortgegangen, und er war immer wiedergekommen. Was er auch getrieben hatte, wo er auch gewesen war, stets hatte sein Weg hier bei ihr in der Georgenkirchstraße geendet. Er war über den Hof gegangen, die Treppen hinaufgestiegen –und er war bei ihr angelangt, freudig erregt oder völlig erschöpft.
    Aber, dachte sie zum ersten Male, zutiefst erschreckt, aber ist es denn sicher, daß er immer wiederkommt –?! Es war doch möglich, daß er einmal nicht wiederkam, vielleicht heute schon. Nein, heute kam er natürlich noch wieder, er wußte doch, wie sie dasaß, sehr hungrig, nackt in seinem schäbigen Sommerpaletotchen, ohne die einfachsten Lebensbedürfnisse, mit Schulden bei der Wirtin. Heute kam er bestimmt noch wieder – aber morgen vielleicht schon –?
    Ich habe nie etwas von ihm verlangt, denkt sie. Warum soll er nicht wiederkommen? Ich war nie eine Last für ihn!
    Dann fällt ihr ein, daß sie doch etwas von ihm verlangt hat, daß sie es immer weiter verlangt, nicht mit Worten, aber sie verlangt es darum nicht weniger: daß er nämlich zurückkommt zu ihr.
    Auch das kann einmal eine Last für ihn sein, denkt sie, von einer grenzenlosen Traurigkeit erfüllt. Auch meine Liebe kann einmal eine Last für ihn sein, und dann kehrt er nicht heim.
    Es wird heiß und heißer. Sie steht mit einem Ruck von der Bettkante auf, geht zum Spiegel und

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