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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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Betrug und Gift liefen die jungen, kaum schulentlassenenMädchen aus den Geschäften mit ihren Kartons und Briefstapeln. Ihren raschen, sicheren Blicken entging nichts, und ihr Ehrgeiz war es, ebenso frech zu sein wie jene, sich von nichts imponieren zu lassen, vor nichts sich zu scheuen, ebenso kurze Röcke zu tragen, ebensoviel Devisen zu raffen.
    Uns imponiert nichts! sagten ihre Blicke. Uns macht ihr Alten nichts mehr vor. Jawohl, sagten sie und schwenkten Mappen oder Schachteln, jetzt sind wir noch Ladenmädchen, Verkäuferinnen, Kontoristinnen. Aber es braucht nur einer ein Auge auf uns zu werfen, der kleine Japs da oder dieser Dicke mit den Koteletten, der seinen Bauch in einer karierten Flanellhose schwenkt – und wir lassen unsern Karton fallen, hier auf der Straße, jawohl, und heute abend sitzen wir schon in einer Bar, und morgen haben wir ein Auto!
    Dem Rittmeister war es, als höre er sie alle rufen, schreien, jagen: Nichts gilt außer Geld! Geld!! Aber auch das Geld galt nichts, in jeder Minute mußte der größtmögliche Genuß aus ihm herausgepreßt werden! Für was sich bewahren – für morgen? Wer weiß, wie morgen der Dollar steht, wer weiß, ob wir morgen noch leben, morgen drängen schon wieder Jüngere, Frischere an den Start – komm schon, alter Herr, du hast zwar schon weißes Haar – um so mehr mußt du dich daranhalten! Komm, Süßer!
    Der Rittmeister erspähte den Eingang der Passage von den Linden zur Friedrichstraße. Er hatte sich immer gerne einmal das Panoptikum angesehen, er floh in den Ladengang. Aber es war, als sei er aus der Vorhölle in die Hölle geraten. Eine dichtgedrängte Menge schob sich unendlich langsam durch den strahlend erleuchteten Tunnel. In den Läden prangten riesige Ölschinken mit nackten Frauen, widerlich nackt, mit widerlich süßen, rosigen Brüsten. Unanständige Postkarten hingen in langen Wimpelketten überall. Es gab Scherzartikel, die einen alten Lüstling hätten erröten lassen, und die Schamlosigkeit der Aktfotos, die einem feucht flüsternde Männer in die Hand drückten, war nicht mehr zu überbieten.
    Aber am schlimmsten waren die Jungens. In ihren Matrosenanzügen mit der glatten, bloßen Brust, die Zigarette frech im Munde, glitten sie überall herum, sprachen nicht, aber sie sahen an oder berührten.
    Eine große, hellblonde Frau in tief ausgeschnittenem Kleid, sehr elegant, drängte sich, von einer ganzen Schar solcher Kerle geleitet, durch die Menge. Sie lachte überlaut, sprach heftig. Der Rittmeister sah sie ganz nahe, sein Blick fiel auf die schamlos entblößte, dick gepuderte Brust. Die Dame sah ihn lachend mit ihren unnatürlich erweiterten Pupillen an, die Augen waren blauschwarz untermalt – und plötzlich überfiel ihn ein körperschüttelnder Ekel bei der Erkenntnis, daß dieses aufgedonnerte Weib ein Mann war, das Weib all dieser widerlichen Bengels, und doch ein Mann –!
    Der Rittmeister drängte sich rücksichtslos durch die Menge. Eine Hure schrie: »Bei dem Alten piept’s ja! Emil, lang ihm mal eine! Er hat mir jebufft!« Aber der Rittmeister war schon draußen, erwischte eine Taxe, »Schlesischer Bahnhof!« sagte er und lehnte sich völlig erschöpft in die Kissen zurück. Dann zog er ein weißes, noch ganz unbenutztes Taschentuch aus dem Rock und wischte sich langsam Gesicht und Hände ab.
    Jawohl, zwang er sich, intensiv an anderes zu denken – und an was denn intensiver als an seine Sorgen? Jawohl, es ist wirklich nicht leicht, in dieser Zeit Neulohe zu bewirtschaften.
    Ganz abgesehen davon, daß der Schwiegervater ein Aas war (und erst die Schwiegermutter mit ihrer Frömmigkeit!), war die Pacht wirklich zu hoch. Entweder wuchs nichts, wie im vorigen Jahre, oder wenn etwas wuchs, hatte man keine Leute, wie in diesem Sommer!
    Aber nach der Unterredung mit dem armen Studmann, den es auch schon angesteckt hatte und der sich wirklich reichlich verdrehte Ideen zurechtmachte, und nach diesem kleinen Spaziergang durch Friedrichstraße und Passage dachte der Rittmeister an Neulohe wie an eine reine, unberührte Insel. Gewiß,es gab ewig Ärger: Leuteärger, Steuerärger, Geldärger, Handwerkerärger (und der schlimmste von allen war der Schwiegerärger!), aber da waren nun Eva und Violet, die seit ihren Kindertagen nur Weio hieß.
    Gewiß, Eva war ein bißchen sehr lebenslustig, die Art, wie sie tanzte und mit den Offizieren in Ostade flirtete, wäre früher ganz unschicklich gewesen, und Weio hatte sich auch einen reichlich

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