Wolf unter Wölfen
der Förster mit seinen beiden Regimentern arbeitet. Es ist natürlich noch nicht Schlagzeit, die großen, alten Buchen, die hier stehen, haben kaum erst ihr Laub verloren. Sie haben noch zuvielSaft, um geschlagen zu werden. Aber der Förster geht mit seinen beiden Vorarbeitern, die später das Regiment über die Holzfäller führen werden und die darum Regimenter heißen, von morgens bis abends durch den Wald. Er bezeichnet den Baum, der geschlagen werden soll: Die Axt des Regimenters blitzt auf, ein breiter Streif der silbergrauen Buchenrinde fliegt zu Boden, gelblich, mit rasch rötlich werdenden Wundrändern leuchtet das weiße Holz. So, nun richte dich ein für den Winter, den Frühling wirst du nicht mehr erleben, die Holzarbeiter werden dich an deinem Mal schon erkennen.
Es ist eigentlich eine sehr epische Tätigkeit, die der alte Förster Kniebusch da als Stellvertreter des Schnitters, der heißt Tod, ausübt. Leben und Tod verteilt er, und daß der Tod den Gezeichneten nicht gleich ereilt, daß ihm noch eine gewisse Gnadenfrist eingeräumt ist, ihm, der von dem Urteil, das eben gesprochen wurde, nichts weiß – das macht diese Tätigkeit fast ein wenig unheimlich. Aber wenn Pagel den Förster da so zwischen den Stämmen herumlaufen sieht, brummelnd und hohl hustend, eigentlich nur noch ein Männchen, zusammengeschnurrt und zusammengetrocknet von Alter, Sorgen und einer nie überwundenen Lebensangst – wenn er ihn mit einem knochigen Zeigefinger, der schon zittert, auf den Stamm deuten sieht – dann wird das Epische grotesk. Denn dieser Schnitter Tod ist sichtbar schon selber vom Tode gezeichnet, übt seine Statthalterschaft nur in einer ungewissen Gnadenfrist, und er, er weiß dies vielleicht sogar! Die Regimenter gehen von Stamm zu Stamm, der zitternde Finger deutet, die Axt klingt silbern hell, und sie gehen weiter, langsam weiter, hinter sich die weißlichrötlich leuchtenden Wundmale.
Pagel sagt dem Förster Kniebusch ein höfliches »Guten Tag«, der Förster wirft von der Seite einen musternden Blick aus seinen kugligen Seehundsaugen auf den jungen Mann. Er brummelt etwas zur Antwort, dann geht er weiter und deutet weiter. Neben ihm her geht jetzt wortlos der junge Pagel,er hat die Hände in den Taschen und raucht eine Zigarette. Er geht so recht bequem, damit in dem alten Mann nicht das Gefühl aufkommt, er werde beaufsichtigt. Aber Pagel muß doch merken, wie selten die Äxte der Regimenter heute etwas zu tun bekommen, wie selten der Finger deutet – und es ist doch fast alles schlagbares, ja, fast überständiges Holz! An den andern Tagen, da ging es ganz anders zu!
Nach einer Weile fragt Pagel darum doch: »Sie zeichnen heute mächtig wenig an, Herr Kniebusch?«
Der Förster wendet das Gesicht zur Seite, er brummt etwas, aber er antwortet nicht. Dann macht er doch ein Zugeständnis, er weist mit dem Finger auf einen Stamm. Aber als sich die Axt des Regimenters schon hebt, ruft er eilig: »Nein! Lieber nicht!«
Doch die Axt wird trotzdem nicht wieder gesenkt, sie schlägt zu, und der Stamm ist gezeichnet.
»Der Stamm fängt ja schon an, hohl zu werden, Herr Förster«, ruft der Regimenter.
Der Förster murmelt etwas wie eine Verwünschung, er wirft einen zornigen Blick auf Pagel. Dann geht er langsam weiter, den Kopf gesenkt, ohne sich um die Stämme zu kümmern, als habe er seine Arbeit vergessen.
»Sie haben nur zu tun, was der Förster Ihnen sagt«, ruft Pagel dem Regimenter zu.
»Herr Pagel«, antwortet der Mann in gar keinem schlimmen Ton, »es ist doch die reine Unvernunft, was wir heute hier machen. Die Tage vorher, heute vormittag noch, hat er uns anzeichnen lassen noch und noch, aber seit heute mittag, wie abgerissen! Krankes Holz, überständiges Holz, Anbruch, wir zeigen es ihm, er schüttelt den Kopf und geht weiter. Das ist doch Kinderei, was er jetzt macht; für so was läuft man doch nicht im Walde herum und bekommt sechzig Milliarden Tagelohn …«
»Ach, red doch nicht lange, Karl!« meint der andere Regimenter. »Der Herr Pagel weiß doch auch, was mit dem Ollen los ist. Zu seinem Vergnügen kommt er doch nicht alleTage in den Wald geradelt! Der Olle spinnt ja, und seit heute mittag ist er ganz verrückt geworden …«
»Halten Sie ’s Maul, Mensch!« schreit Pagel.
Der Förster hat zwei Schritt von den dreien gestanden und muß jedes Wort verstanden haben. Er hält den Kopf gesenkt, es ist ihm nicht anzumerken, ob ihn die rohen Worte verletzt haben. Alle drei
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