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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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zu, wenn etwas erzählt wird. Er will nichts mehr erfahren, und er selbst erzählt auch nichts mehr. Diese bei einem so alten Mann erstaunliche Veränderung, dieses völlige Aufgeben einer Schwäche, die er in einem ganzen Leben nicht überwinden konnte, datiert seit jenem ersten Oktober, da der Förster Kniebusch still, aber kriegerisch mit einer ganzen Schar von Neuloher Bauernsöhnen nach der Festung Ostade marschiert war, um die Rote Regierung in einem großen Putsch zu stürzen.
    Als Pagel die Verwandlung des geschwätzigen in den stummen Förster merkte, hatte er geglaubt, daß die Kränkung über den so schmählich mißlungenen Putsch es gewesen sei, die den Förster so verbissen und stumm machte.
    Der Förster zwar erzählte nichts von der militärischen Unternehmung, aber das hätte einen in dieser Ansicht nur bestärken können. In den Zeitungen hatte man auch ohne mündliche Nachricht genug gelesen, wie einige Abteilungen nicht aufgelöster Kampfverbände mit viel bewaffnetem Landvolk vor die Kasernen der Reichswehr gerückt waren und sie aufgefordert hatten, sich dem Kampf gegen die Regierung anzuschließen.
    Von der Reichswehr war kühl mit Nein geantwortet worden.
    Wahrscheinlich hatte man dieses Nein auf seiten der Putschisten für eine Art von Ziererei gehalten, für die Absicht, das Gesicht zu wahren. Und man war nach kurzem Zögern, aber immer mit viel Unentschlossenheit zu etwas wie einem Angriff vorgegangen – wiederum anscheinend nur, um das Gesicht zu wahren.
    Ein halbes oder auch ein Dutzend Schüsse waren gefallen – die Masse der Putschisten war regellos zurückgeflutet, und so endete in Verwirrung, Auseinanderlaufen, mit einem Dutzend Verhaftungen, leider auch mit zwei oder drei Toten, eine Unternehmung, der viele tüchtige und auch abenteuerliche Männer monatelang all ihre Kraft, ihr Denken, ihren Mut, ihre Opferwilligkeit geliehen hatten. Aber es war ein Zeichen dieser Zeit: in dieser Zeit schien alles sich aufzulösen, schon im Werden zu zerfallen, der beste Wille blieb machtlos, Opfermut schien etwas Lachhaftes – jeder für sich, aber alle gegen einen!
    (Jener Windjacke aber, die ein Leutnant von einem Gastwirt entliehen und die in einem Anfall skrupulöser Bedenklichkeit sofort wieder abgeliefert worden war, damit sie nicht beschmutzt wurde, jener Windjacke geschah es nun doch, daß sie an jenem ersten Oktober beschmutzt wurde, von Erde wie von Blut … Umsonst hatte der Vater aus einer kleinen Budike eine anständige Kneipe gemacht. Wenn aber der Leutnant die neue Windjacke nicht abgeliefert hätte, wäre dann der Wirtssohn nicht mitgegangen –?)
    Nun also, so oder ähnlich war dieser Putsch verlaufen, ein schöner, strahlender Traum, an den viele Leute ihr Herz gehängt hatten – und dann war es mit ihm vorbei. Man konnte es schon verstehen, daß ein Mensch darüber verbissen und stumm wurde. Aber als dann Pagel öfter mit dem Förster Kniebusch zusammenkam, als er außer der Stummheit diesen toten und doch immer geängstigten Blick sah, den Bart, der immer schütterer zu werden schien, die ewig zitternden Hände – als er über den Putsch und den Mann ein wenig genauer nachdachte, da sagte er sich: Es ist alles falsch, es ist wieder einmal alles ganz anders.
    Man kann gut eine halbe Stunde durch die Forst fahren und an nichts weiter denken als an den Förster Kniebusch. Eine gewisse sachte Beharrlichkeit im Denken war dem jungen Wolfgang Pagel nie ganz abzusprechen gewesen, und wenn die überstürzten Geschehnisse der letzten Zeit diese Eigenschaft etwas zurückgedrängt und ein fast unbedenkliches Handeln von ihm gefordert hatten, so war der Rückschlag jetzt um so stärker, da er wieder weite Wege von einem Feld zum andern Wald auf dem Rade, immer mit sich allein, zurücklegte. Pagel fühlte sich nicht wohl, wenn er nur in der Welt mittat, er wollte auch seine Welt verstehen. Es genügte ihm nicht, zu sehen, daß der Förster Kniebusch jetzt stumm und verängstigt war, er wollte auch wissen, warum er sich so geändert hatte.
    Und wenn er da so in seinen Erinnerungen kramte, so mußte ihm natürlich ein Herbsttag einfallen, an dem auf einem Waldweg ein betrunkenes Kerlchen auf ihn zugetaumelt war, und in dem Auto des betrunkenen Männleins hatte der noch sehr viel betrunkenere Förster Kniebusch gelegen. Daß dieser Lump von einem Meier die Hauptschuld an der Aufdeckung des Waffenlagers und damit am Ende des Leutnants gehabt hatte, das hatte Pagel stets gewußt, seit jenen

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