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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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besoffen gemacht und hat mich ausgehorcht!« rief der andere. »Er wußte ja, ich war schwatzhaft wie ein altes Weib. Das hat er ausgenützt. Sie müssen’s mir glauben, Herr Pagel; der Dicke hat es mir schließlich auch geglaubt. ›Lauf heim, du alter Trottel‹, hat er schließlich gesagt. ›Und mach deinen Mund nie wieder im Leben auf!‹«
    »Das hat er gesagt?« fragte Pagel. »Aber dann brauchen Sie ja keine Angst mehr zu haben, Kniebusch!«
    »Oh, er war schrecklich!« rief der alte Mann zitternd aus. Sich nun doch noch einmal die Bergeslast von der Seele reden zu können versetzte ihn fast in einen Rausch. »Hätte er mich gleich niedergeknallt, er wäre barmherziger gewesen! ›Der Staub von dem Manne, den Sie totgeschwätzt haben, muß Ihnen ja zwischen den Zähnen knirschen, wenn Sie das Maul bewegen!‹ hat er gesagt.«
    »Still! Still!« sagte Pagel und legte die Hand sanft über den Mund des andern. »Das ist ein unbarmherziger Mann, und auch ein ungerechter. Andere sind schuldiger an dem Toten als Sie. – Kommen Sie, Kniebusch, ich schmeiße hier mein Rad ins Blaubeerkraut, ich hole es mir morgen früh. Ich bringe Sie nach Haus und ins Bett. Und dann rufe ich gleich den Arzt an, und er kommt heute abend noch zu Ihnen heraus, und Sie haben Ruhe …«
    Der Mann ging wie ein Schwerkranker an seinem Arm. Nun er einen Menschen gefunden hatte, dem er vertrauen konnte, wich der letzte Rest von Widerstand aus ihm. Was ihn noch aufrecht gehalten hatte, das war seine Vereinsamung gewesen. Willenlos ließ er sich jetzt in Schwäche und Krankheit hineingleiten, in der Gewißheit, daß ein Stärkerer für ihn sorgte.
    Hemmungslos schwatzte er alles durcheinander, von der Angst, daß die Leute seine Schande erfahren könnten; von der Angst vor dem entwichenen Wilddieb Bäumer, von dem er Spuren im Walde gefunden zu haben meinte; von der Angst, daß doch noch alles herauskommen könnte, wenn das Fräulein Violet oder der Diener Räder gefunden würde;von der Angst, ob der Schulze Haase auch die Zinsen weiterzahlen würde, nun der Leutnant tot war; von der Angst vor dem Wiederauftauchen des kleinen Meier; von der Angst vor dem Geheimrat, der ihn von heute auf morgen aus der Försterei heraussetzen würde, wenn er erfuhr, sein Förster tat nicht, was im Briefe stand …
    Angst, Angst … Das ganze Leben dieses Mannes war Angst gewesen. So viel konnte man sich also um das bißchen Leben, das keine starke Freude, keinen großen Gedanken gekannt hatte, ängstigen. Und nun es zur Neige ging, da es ganz schal und glücklos geworden war, wurde es noch schlimmer mit der Angst. Von allen Seiten drang sie auf ihn ein, nicht der Lebenwille hielt ihn noch am Leben, nein, die Lebensangst.
    Schnell gab es Wolfgang Pagel auf, dem alten Mann begütigend, tröstend zuzureden, er wollte ja keinen Trost. Er saß mitten in seinen Ängsten, und sie kamen wie Wellen von allen Seiten und hoben ihn hoch, und wenn sie ihn fast ertränkt hatten –:
    »Ja, Herr Pagel, ich lese es ja jetzt Tag für Tag in der Zeitung von den Selbstmorden. Und daß jetzt so viele alte Leute dabei sind, Siebzig- und Achtzigjährige. Aber ich kann es doch nicht, ich kann doch nicht einmal das, ich hab doch die kranke Frau, und immer habe ich die Angst: Was wird mit der, wenn ich vor ihr sterbe?! Da ist doch keiner, der sich um sie kümmert, die lassen sie doch einfach eingehen wie ein Tier. Darum ist mir so angst …«
    »Ach, reden Sie doch nicht, Kniebusch«, sagte Pagel müde. »Jetzt legen Sie sich hier in Ihr Bett, und heute abend noch kommt der Doktor, und wenn Sie erst einmal geschlafen haben, so sieht auch alles anders aus. Und jetzt, während Sie sich ausziehen, geben Sie mir den Brief vom Geheimrat zum Durchlesen.«
    Der alte Förster Kniebusch klabasterte ein wenig brummend, ein wenig klagend an seinen Kleidern. Pagel stand unter der niederkerzigen Lampe und überflog den Brief, den der Geheime Ökonomierat Horst-Heinz von Teschow seinemFörster geschrieben hatte. Am Fenster in einem großen Stuhl saß die Frau Försterin, von der die Leute im Dorfe sagten, sie würde immer wunderlicher. Die dicke, unförmige Frau hatte den Kopf abgewandt und sah bewegungslos in die Nacht hinaus. Auf den Knien lag ihr ein Buch, mit einem goldenen Kreuz auf dem Deckel, wohl ein Gesangbuch.
    »Wer bringt denn Ihre Frau ins Bett?« fragte Pagel und unterbrach seine Lektüre.
    »Ach, heute geht sie wohl nicht mehr ins Bett«, antwortete der Förster. »Manchmal sitzt

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