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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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Unangenehmes hört – und er hört alles, er paßt ja so auf! –, dann ist es möglich, daß er wieder zusammenklappt. Deswegen bleibe ich ja noch hier.«
    So war damals die Unterhaltung gegangen, die beiden hatten noch öfters über dieses Thema gesprochen, sie waren eigentlich recht vertraut miteinander geworden.
    Jetzt fragte Pagel eilig: »Nun, was macht der Herr Rittmeister? Liegt er im Bett? Ist er auf? Ist die gnädige Frau im Hause?«
    »Die gnädige Frau ist fortgefahren«, berichtete der Pfleger. »Herr Rittmeister ist auf, ich habe ihn angezogen, mit Kragen und Schlips, und jetzt liest er!«
    »Er liest –?« fragte Pagel verblüfft. Er konnte sich den Rittmeister, auch in gesunden Tagen, kaum lesend vorstellen – es sei denn die Zeitung.
    Herr Schümann feixte dünn.
    »Hätten Sie mir nicht erzählt, daß der Herr Rittmeister in diesem Sommer ein paar Wochen als Jagdgast in einer Klapsmühle gewesen ist, ich wäre ihm wirklich auf den Leim gekrochen.« Jetzt lächelte der Pfleger richtig. »Ich habe ihn in sein Arbeitszimmer gesetzt, ich habe ihm eine Nummer von ›Sport im Bild‹ in die Hand gedrückt, ich habe ihm gesagt: ›Herr Rittmeister, sehen Sie sich mal die Bilder an.‹ Ich bin gespannt, was er tun wird. – Natürlich sind ihm sofort die Idioten aus der Klapsmühle eingefallen. Er ruht nicht eher, bis er die Zeitschrift auf dem Kopf vor sich hat, obwohl ich sie ihm ganz richtig in die Hand gegeben habe. Er guckt immer auf dieselbe Seite, runzelt die Stirn, murmelt mit sich – und nur, wenn ich sage: ›Herr Rittmeister, die nächste Seite‹ – dann dreht er um.«
    »Aber was soll das alles?« fragt Pagel etwas unwillig.
    »Er spielt doch den Idioten!« kichert Herr Schümann. »Er ist ganz glücklich, wie gut er es macht. Wenn er denkt, ich sehe nicht hin, schielt er von der Seite, ob ich auch aufpasse, was er jetzt wieder anfängt …«
    »Aber wir würden ihn doch auch ohne diese Faxen zufriedenlassen!« ruft Pagel ärgerlich.
    »Das würden Sie eben nicht!« sagt der Pfleger bestimmt. »Da hat er recht. Wenn Sie merken würden, er ist ganz vernünftig, dann würden Sie verlangen, daß er ein bißchen an seine Wirtschaft denkt, sich um Geld Gedanken macht. Die gnädige Frau würde Schmerz von ihm wegen der Tochter verlangen, Hilfe … Das will er eben alles nicht mehr. Er will nicht mehr mitspielen, er ist leergelaufen, hat nichts mehr zu geben.«
    »Dann ist er eben doch krank!« ruft Pagel. »Nun, wir werden ja sehen. Hören Sie mal zu, Herr Schümann …«
    Und er entwickelt seinen Plan.
    »Man kann es versuchen«, sagt der Pfleger nachdenklich. »Freilich, wenn es schiefgeht, kriegen wir beide was aufs Dach – vom Arzt wie von der gnädigen Frau. Nun kommen Sie man rein, wir werden ja gleich sehen, wie er reagiert.«
    Es ist ein recht trauriger Anblick, es ist auch ein sehr beschämender Anblick – wenn der Mann nicht wirklich so krank ist, wie er tut. Da sitzt der Rittmeister, in einem seiner untadeligen englischen Schneideranzüge, immer noch dunkle Augen, aber Haar und Brauen schneeweiß. Das ehemals braune Gesicht sieht aus wie vergilbt. Er hat eine Zeitung in der Hand, er kichert vor Vergnügen über das, was er sieht. Die Zeitung wackelt in seinen Händen, der ganze Rittmeister wackelt mit.
    »Herr Rittmeister!« sagt der Pfleger. »Legen Sie bitte die Zeitung weg. Sie müssen sich anziehen und ein bißchen fortgehen.«
    Einen Augenblick scheint es, als wenn die Stirn sich zusammenzieht, die weißen, buschigen Brauen rücken einander näher – aber dann faßt ein neues Kichern den Mann, die Zeitung raschelt in seiner Hand.
    »Herr Rittmeister«, sagt jetzt Pagel, »Ihre Stute, die Mabel, ist am Fohlen. Aber es geht nicht glatt, der Tierarzt ist da. Er sagt, das Fohlen ist tot, und die Stute wird auch hops gehen. Wollen Sie nicht einmal nachsehen?«
    Der Rittmeister starrt mit gerunzelter Stirn in die Zeitung, er kichert nicht mehr, er scheint ein Bild zu betrachten …
    Die beiden warten, aber es erfolgt nichts.
    »Kommen Sie, Herr Rittmeister«, sagt der Pfleger schließlich freundlich. »Geben Sie mir mal die Zeitung.«
    Der Rittmeister hat natürlich nichts gehört, so wird ihm die Zeitung aus der Hand genommen. Er wird auf die Diele geführt, ein Mantel wird ihm angezogen, eine Sportmütze aufgesetzt, sie treten aus dem Haus, in die Nacht hinaus.
    »Bitte, nehmen Sie meinen Arm, Herr Rittmeister«, sagt der Pfleger mit seiner sachten, ein wenig berufsmäßigen

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