Wolf unter Wölfen
Freundlichkeit. »Herr Pagel, wollen Sie Herrn Rittmeister auch Ihren Arm geben. – Das Gehen muß Ihnen ja noch sauer werden, Sie sind ja sehr krank gewesen.«
Fast unmerklich liegt der Ton auf dem »gewesen«.
Vielleicht ist es Zufall, aber vielleicht hat der Kranke die Betonung gespürt. Er hat sie als Herausforderung empfunden, er fängt wieder an zu kichern.
Dann geht er still, ein wenig unsicher, wankend zwischen den beiden.
Nach einer Weile, sie sind den Häusern des Dorfes nun schon nahe, merkt Pagel, daß der Arm des Rittmeisters in dem seinen zittert. Der ganze Mann zittert und bebt. Etwas wie Angst vor dem, was er unternommen hat, will den jungen Pagel überkommen. Er schwankt, schließlich sagt er: »Sie zittern ja so – ist Ihnen kalt, Herr Rittmeister?«
Der Rittmeister antwortet natürlich nicht. Aber der Pfleger hat wohl verstanden, was Pagel gemeint hat.
»Das hilft nun nichts mehr, Herr Pagel«, sagt er. »Jetzt können wir nicht mehr umdrehen. Nun müssen wir durch!«
Sie gehen über den Gutshof. Sie treten in den Stall. Pagel sieht wohl den Schreck in den Gesichtern der Leute, die dastehen. Der Rittmeister war ja nach dem Geschwätz ein Verrückter – nun kam der Verrückte zu ihnen in den Stall!
»Alle Mann aus dem Stall!« befiehlt er. »Nur Sie, Futtermeister, und meinethalben Sie, Amanda, können hierbleiben. Machen Sie die Stalltür zu, Amanda.«
Gottlob benimmt sich der Tierarzt ganz vernünftig. Er sagt ruhig: »Guten Abend, Herr Rittmeister« und tritt etwas auf die Seite, um den Eingang zur Box freizugeben.
Es war Pagel, als hätte er einen leichten Zug an seinem Arm gespürt. Jawohl, der Rittmeister zog nach der Box, sie konnten ihn loslassen. Er stand frei und allein da.
Das Pferd lag auf der Seite, die Beine weit von sich gestreckt. Es drehte den Kopf mit den traurigen, hilflosen Augen. Es hatte seinen Herrn erkannt, es wieherte leise, als erwarte es die immer noch ausgebliebene Hilfe nun von ihm.
Der Tierarzt Hoffart berichtete: »Seit ich der Stute Kaffee und Kampfer gegeben habe, sind die Wehen wieder stärker geworden, auch die Herztätigkeit ist jetzt recht gut. Es ist mir beinahe so, als hörte ich wieder leise Herztöne des Fohlens – aber ich kann mich irren, ich bin nicht ganz sicher …«
Der Tierarzt schweigt. Sie schweigen alle. Was tut der Rittmeister? Er hat den Mantel ausgezogen, er sieht sich um, der Futtermeister nimmt seinem Herrn den Mantel ab, alle sind still, so still … Der Rittmeister von Prackwitz zieht auch sein Jackett aus, der Futtermeister nimmt es. Der Rittmeister nestelt am Knopf seiner Manschette – Amanda ist da und hilft ihm, den Ärmel hochzustreifen.
Jawohl, das ist die rechte Geburtshelferhand, schmal, mit geschickten Fingern; ein Handgelenk, dünn wie bei einem Kind, aber aus Stahl! Ein langer, schlanker Arm, nichts von Fleisch, aber Sehnen, Knochen, Muskeln.
Sie sind atemlos still, als der Rittmeister hinter dem Pferd niederkniet – nun zögert er, er sieht sich unwillig um – was ist los? Was fehlt noch? Warum spricht er nicht?!
Aber der Tierarzt Hoffart hat ihn schon ohne Worte verstanden, er kniet neben dem Rittmeister, er reibt den Armmit Öl ein, daß er glatt und geschmeidig ist. Dabei flüstert er: »Ein wenig Vorsicht, Herr Rittmeister! Wenn die Wehen kommen, schlägt der Gaul, man hat vergessen, ihm die Eisen abzunehmen …«
Der Rittmeister runzelt ungnädig die Stirn, er preßt die fast farblosen Lippen zusammen. Dann macht er sich an seine Arbeit. Bis zur Schulter verschwindet der lange Männerarm in dem Pferdeleib, der Mund hat sich weit geöffnet, geheimnisvoll liest man das Tasten und Suchen der Hand auf dem Gesicht des Mannes ab. Nun leuchtet das Auge auf, der alte glühende Blitz, er hat gefunden, was er suchte!
Jawohl, jawohl – dieser Rittmeister, dieser Mann, einer unter den Menschen – er hatte sich vor dem schmählichen Untergang der Tochter feige verkrochen. Er jammerte nach Alkohol und Veronal, er spielte den Trottel – aber da ein Pferd in Not ist, verläßt er die selbstgewählte Einsamkeit, er kehrt zurück zu den Menschen, er findet noch etwas auf dieser Erde, was des Tuns wert ist! O mein Gott, das sind die Menschen, so sind sie – besser sind sie nicht. Aber auch nicht schlechter.
Ein paarmal muß der Rittmeister seine Arbeit unterbrechen. Die Wehen sind da, das Pferd schlägt mit den Hufen vor Schmerz, aber er zieht seinen Arm nicht zurück, er duckt sich, denn diese Wehen, die ihn
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