Wolf unter Wölfen
Prackwitz, einer Frau, die er verehrt und vielleicht sogar geliebt hatte. Aber es ist wohl anzunehmen, daß in jenem Abschiedsbrief Studmanns nicht nur geschäftliche Dinge, wie Gehaltsfragen und Spielschulden, standen, sondern auch einer jener pathetischen Sätze, die eher das verletzte Ehrgefühl als die verschmähte Liebe der Männer zu finden scheint und die von den Frauen stets so beleidigend und so lächerlich gefunden werden.
Wenn Frau von Prackwitz den überstürzten Abgang Studmanns von ihrem Standpunkt aus betrachtete, so konnte sie sagen, daß der Freund sie in der Stunde ihrer schlimmsten Not verlassen hatte, weil sie darauf bestand, daß zwei Zahlungen in einer andern Reihenfolge geleistet wurden, als er es wünschte. Sie konnte auch sagen, daß dieser Freund taktlos eine Unterredung in Liebesdingen erzwingen wollte, zu einer Stunde, da ihre Tochter in Lebensgefahr, ihr Mann in schwerer Krankheit sich befand.
Nein, sah man die Dinge vom Standpunkt der Frau, jeder Frau, so war Herr von Studmann völlig im Unrecht. Freilich vom kaufmännischen Standpunkt aus fing er an, recht zu behalten.
Heute mittag hatte Wolfgang einen Brief von ihm bekommen –:
»Also, lieber alter Freund, nein, lieber junger Freund, sollte ich richtiger sagen, mir geht es hier bei dem Geheimrat Schröck ausgezeichnet. Eine putzige Kruke, der alte Knabe, aber ein Betrieb, der abschnurrt wie eine Uhr … Sie sollteneinmal hier die Diätküche sehen, mein lieber Pagel, gegen eine solche Exaktheit im Zuwiegen, Einteilen, Zubereiten, Anrichten kommt das bestgeleitete Berliner Hotel nicht auf. Nebenbei bemerkt: Ich habe mich zu einer rein vegetarischen Kost entschlossen, dazu kein Tabak mehr, kein Alkohol. – Irgendwie scheint dies meiner ganzen Veranlagung besser zu entsprechen, ich wundere mich, daß ich nicht früher daraufgekommen bin. Denken Sie einmal darüber nach: Der Tabak kam zu uns aus Südamerika, Mittelamerika, einem tropischen Lande, und der Alkohol, der Wein nämlich, der Bibel nach aus Palästina – kann also unserer nördlichen Natur nicht entsprechen. Aber ich will Sie beileibe nicht bekehren! Immerhin muß ich doch sagen, daß das Fleischessen …« Und so weiter und so weiter über vier Seiten des Briefes hin, bis zu dem denkwürdigen Nachsatz: »Hat der Geheimrat sich noch immer nicht wegen seiner Pacht gerührt? Es sollte mich doch sehr wundern.«
Wolfgang Pagel, immer feuchter auf seinem Strohballen, seufzt. Nun sucht er doch in der Tasche, er findet eine Zigarette, er brennt sie an. Also: Herr von Studmann braucht sich nicht mehr zu wundern, Herr von Studmann behält recht: Der Geheimrat hat sich gerührt wegen seiner Pacht. Er hat sich sogar höchst bösartig gerührt. Den ersten Maßnahmen werden andere folgen. Die Sache wird sich zuspitzen: Aus! Schluß!! Dein treuer Vater!!!
Es liegt in der Natur eines jeden Mannes, und eines jungen dazu, daß er nicht gerne für eine Sache tätig ist, die nichts taugt, die zum Untergang verurteilt ist. Die tiefe Mutlosigkeit, die den jungen Pagel angesichts einiger verrostender Schaufeln ergriffen hatte, stammte wohl vor allem hieraus. Wenn der Geheimrat doch in zwei oder drei Wochen den Betrieb lahmlegen würde, so machte ihm seine ganze Rennerei und Wirtschafterei keinen Spaß mehr. Dann dankte er dafür. Dann rührte er kein Bein mehr. Dann machte er sich keine Sorgen mehr – ausgerechnet auf diesem zugrunde gehenden Fleck des Deutschen Reiches, bestehendaus soundso viel Ländern und vierundfünfzig Parteien! Gute Nacht!
Nahm man den alten Geheimrat als eine unbekannte Größe, also nicht als das bekannte Geschöpf in Loden, mit Knollennase und listig funkelnden Augen, sondern als Besitzer, als den Verpächter schlechthin, so konnte man ganz und gar nicht sagen, daß er im Unrecht war. (Es blieb eine verfluchte Sache, dachte der junge Pagel, schon wieder lebhafter geworden, daß die meisten Menschen bei den meisten Dingen gleichzeitig im Recht und im Unrecht waren!) Der Pächter hatte zweifellos seine geldlichen Verpflichtungen nicht erfüllt. Er erlaubte sich kostspielige Privatneigungen zu Lasten der Wirtschaft, er wirtschaftete schlecht mit unausgebildeten Kräften, außerdem war der Pächter kein geschäftsfähiger Mann mehr! Zum Teufel, welchem Verpächter mußte nicht himmelangst werden, wenn er solchen Pächter in seinem Eigentum schalten und walten sah!
Wenn man auf der andern Seite allerdings bedachte, daß der alte Verpächter ein schwerreicher Mann war,
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