Wolf unter Wölfen
gefährden, helfen ihm auch, die Frucht von der Mutter zu lösen.
Dann wird das Gesicht des Rittmeisters dunkelrot, diese Wehen pressen ja auch seinen Arm mit unendlicher Gewalt aus dem Leib – mit aller Kraft widersteht er. Pagel läßt sich neben dem Rittmeister auf dem Stroh nieder, er stützt mit seiner Schulter die Schulter seines Herrn – ein Blick trifft ihn, ein dunkler Blick, glühend aus allem Dunkel –. Nein, dies ist nicht der Blick eines Trottels. Vielleicht aber ist es der Blick eines Menschen, der Unsagbares gelitten hat …
Als die Hufe des Fohlens erscheinen, geht eine Bewegung durch die Herumstehenden. – Siehe, es kommt die feine, samtige Schnauze, der Kopf, die Schultern folgen nur zögernd.– Dann, mit unendlicher Schnelle, folgt sehr lang der Leib. Das Fohlen liegt wie leblos auf dem Boden, der Tierarzt kniet bei ihm, untersucht. Er sagt: »Es lebt!«
Mit einem Ruck steht der Rittmeister auf, er greift suchend in die Luft. Der Pfleger sagt: »Halten Sie sich nur fest an mir, Herr Rittmeister. Das war ein bißchen viel für den Anfang.«
Und der Rittmeister versteht und hält sich fest.
Amanda Backs ist mit einer Blechschale und warmem Wasser da, behutsam wäscht sie des Rittmeisters mit Blut beschmutzten Arm, als sei der auch etwas Neugeborenes, leicht Verletzliches.
Dann geht Herr von Prackwitz zwischen seinen Führern aus dem Stall. Er geht, ohne einen Menschen anzusehen, ohne ein Wort, schwer, mit schleppenden Füßen, als schliefe er schon. Langsam gehen sie zwischen den Gutshäusern durch. Dann, als sie auf den freien Weg zur Villa hinauskommen, als der aus den Wäldern wehende Oktoberwind sie mit all seiner Frische anspringt, bleibt der Rittmeister stehen. Ein Zucken geht durch ihn, ein Krampf schüttelt seinen Leib. Joachim von Prackwitz sagt das erste Wort nach langem Schweigen. Es ist nur ein Ausruf, ein Ruf der Klage, der Verzweiflung, der Besinnung – wer weiß es? Er ruft: »Mein Gott –!«
Pagel und Schümann sagen nichts. Nach einer Weile nehmen sie ihren Weg wieder auf, schwer geht der Kranke zwischen ihnen. Sie kommen zur Villa, Pagel hilft noch, den Rittmeister in sein Schlafzimmer zu bringen, dann, als der Pfleger anfängt, Herrn von Prackwitz auszuziehen, steigt er wieder die Treppe hinunter und setzt sich wartend auf die Diele.
Ein Weilchen sitzt er tatenlos. Ein Gefühl guter Müdigkeit erfüllt seine Glieder. Er ist erschöpft, aber er denkt, er hat etwas Richtiges, etwas Gutes getan. Ihm fällt etwas ein: Er steht auf und geht nach kurzem Anklopfen in das Zimmer der gnädigen Frau. Kaum hat er das Licht eingeschaltet,sieht er die Briefstapel auf dem Schreibtisch – jetzt sind es schon mehrere, sie sind hoch, viele Briefe liegen dort.
Er hat einen kleinen Widerwillen zu überwinden, aber, nicht wahr?, man kann ja im Leben nicht nur Dinge tun, die einem angenehm sind! Er läßt die Briefe durch seine Hand gleiten, er glaubt die Handschrift des Geheimrats zu kennen. Er wartet auf die ausländische Marke, den Poststempel: »Nice« muß er lauten, wenn ihn seine Schulkenntnisse nicht trügen.
Aber den ersten Stapel durchblättert er umsonst, ebenso den zweiten. Im dritten ist auch nichts. Als er den vierten und letzten ebenso ergebnislos aus der Hand legt, fällt sein Blick auf einen Notizblock. Er will nicht lesen, aber er hat es schon gelesen – »Vater schreiben« steht da. Er macht das Licht aus und setzt sich wieder auf die Diele.
Diese Notiz kann alles bedeuten: daß die gnädige Frau von sich aus ihrem Vater schreiben will, aber auch, daß sie nicht vergessen will, einen Brief von ihm zu beantworten. Also ist er so weit wie vorher. Er hat diese kleine, ein wenig deprimierende Schnüffelei umsonst betrieben, er weiß nicht recht weiter, er weiß nur, daß er weiter muß …
Eine Weile später kommt dann der Pfleger die Treppe hinunter.
»Er ist sofort eingeschlafen«, meldet er. »Es war wirklich etwas kräftig. Nun, man muß abwarten.«
»Was glauben Sie denn?« fragt Pagel.
»Man muß morgen sehen«, antwortet der Pfleger wieder. »Man weiß nicht.« Und nach einer Pause: »Wie ist es? Sagen Sie es der gnädigen Frau?«
»Ja, richtig«, stimmt Pagel zu. »Einer von uns muß es ihr sagen. Sie darf es nicht von andern Leuten erfahren.«
Herr Schümann sieht Pagel bedenklich an. »Wissen Sie was, Herr Pagel«, meint er dann. »Sie haben es zwar angeregt, aber ich werde es ihr sagen und werde es auf meine Kappe nehmen.« Und als Pagel eine Bewegung
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